Normalität, die sie meinen

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ANALYSE. Mit der Beschwörung einer Normalität stellen sich Kickl und Mikl-Leitner gegen die pluralistische Gesellschaft. Die Sehnsucht danach dürfte in Krisenzeiten wachsen – und das macht das Ganze noch viel bedrohlicher.

In der Pandemie hat besonders der damalige Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) immer wieder von einer Rückkehr zur Normalität gesprochen (zum Beispiel im August 2020, im November 2020, und im Herbst 2021). Behauptung: Im Vergleich zu dem, was heute läuft, ist das „nur“ eine Art Vorstufe gewesen: In Teilen der Gesellschaft gibt es gegenwärtig nicht mehr nur aufgrund einer großen Krise eine Sehnsucht, auszublenden was ist und sich auf eine Insel der Seligen zurückzuziehen, es sind viele großen Krisen ausschlaggebend dafür.

Geblieben sind Politikerinnen und Politiker, die dem Rechnung tragen. Im niederösterreichischen Wahlkampf hat sich Landeshauptfrau Johann Mikl-Leitner (ÖVP) noch als besonnene Krisenmanagerin darstellen lassen. Das Ergebnis ist bekannt. Es ist nicht angekommen. Jetzt will sie laut „Kurier“ versuchen, eine „Kante für die große Mehrheit der Normaldenkenden“ zu zeigen.

FPÖ-Chef Herbert Kickl doppelt das auf: In einem „profil“-Interview verhehlt er nicht, sich als Volkskanzler darzustellen, der für die normalen Menschen da sei. Er ortet eine Nachfrage danach und führt gleich zwei geradezu absolutistische Ansätze zusammen: Der Begriff „Volkskanzler“ vermittelt, dass es nur ein Volk gebe; und der „normale Mensch“, dass nur eine Norm existiere, wie man zu sein habe.

Das ist umso bemerkenswerter, als Pluralismus demokratische Normalität sein sollte, also „ein Wettbewerb unterschiedlicher und entgegengesetzter Interessen“. Daher stehen diverse Freiheiten, die einen solchen ermöglichen, auch im Zentrum der Verfassung.

Was Mikl-Leitner unter „Normaldenkenden“ und Kickl unter „normalen Menschen“ versteht, ist das Gegenteil davon. Schwarz-blaue Regierungsprogramme und Botschaften liefern eine Ahnung dazu: Deutsch sprechen und Schnitzel essen ist normal. Oder eine Mutter, die für die Kindererziehung zu Hause bleibt. Oder eine Tracht. Unter anderem für die Tracht verspricht Kickl ausdrücklich einen „Abwehrkampf“. Genauso wie gegen eine „Geistesseuche“, die er in „linkem Zeitgeist“ erkennt, der sich bemühe, das „alles zu zerstören“.

Das sollte man nicht nur aufgrund der Wortwahl ernst nehmen. Es könnte einer Sehnsucht entsprechen, die groß ist. Am besten wäre es demnach, es würde gar nichts mehr passieren. Dem beugt sich die Politik insofern, als sie zum Beispiel keine Debatten mehr über Pensions- oder Bildungsreformen durchführt. Oder als sie sich hütet, Fragen der Sicherheit und der Verteidigung zu erörtern. In Anbetracht des Krieges in der Ukraine und einer Überzeugung, dass man nur an die Neutralität glauben muss, um geschützt zu sein, könnte alles andere ausschließlich verstörend wirken. Ähnliches gilt für die Klimakrise: Wer Veränderungen das Wort redet, die zu ihrer Bekämpfung notwendig sein könnten, hat in Teilen der Bevölkerung schon verloren.

In diesen Teilen der Bevölkerung gibt es zudem weniger Toleranz denn je dafür, ein Anderssein neben sich zu dulden. Es betrifft sexuelle Orientierungen genauso wie Hautfarbe oder Herkunft. Hier ist Normalität tatsächlich ein Kampfbegriff und entspricht der Volkskanzler einem starkem Mann, der mit allen Mitteln die Illusion pflegt, dass man sie herbeiführen könne.

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