ANALYSE. Die Idee der Nichtabsetzbarkeit des Nationalratspräsidenten ist nicht, dass er geschützt seiner Partei dienen kann. Ganz im Gegenteil.
Der Nationalratspräsident ist nicht abwählbar. Für die ÖVP und vielleicht auch für die Grünen, denen so ein Koalitionsproblem erspart bleibt, jedenfalls aber für Wolfgang Sobotka ist das ein Glück: Er kann weiterhin schalten und walten, wie es ihm gefällt. Genauer: Die bekannten Aussagen von Christian Pilnacek, wonach er sich darüber empört habe, dass dieser keine Ermittlungen einstelle und Hausdurchsuchungen verhindere, die der Volkspartei lästig sind, können ihm politisch nicht zum Verhängnis werden.
Für das Amt des Nationalratspräsidenten ist das alles jedoch katastrophal. Die- oder derjenige, der es bekleidet, sollte über jeden Verdacht erhaben sein, seine Macht im Sinne einer Partei im Allgemeinen und einer Regierungspartei im Besonderen zu missbrauchen. Begründungen: Zu seinen Aufgaben zählt es, darauf zu achten, dass die Würde und die Rechte des Hohen Hauses gewahrt werden. Dazu gehört, dass es das Gegengewicht zur Regierung sein kann, das es insbesondere im Rahmen der Kontrolle sein sollte.
Zweitens: Es ist ein leider ungeschriebenes Gesetz, dass der Nationalratspräsident überparteilich sein muss. Wäre es ein geschriebenes, würde Sotobka dagegen verstoßen. Das wäre wenigstens etwas, was den Druck auf ihn erhöhen würde, seinen Platz zu räumen.
Die Überparteilichkeit ist in der Ersten Republik dadurch zum Ausdruck gekommen, dass der Nationalratspräsident kein Stimmrecht hatte. In Deutschland wird als Argument für die Nichtabwählbarkeit des dortigen Bundestagspräsidenten wiederum angeführt, dass er dadurch gerade auch gegenüber der eigenen Fraktion geschützt ist.
Das mag seltsam klingen. Es geht aber darum: Der Nationalratspräsident sollte für ein selbstbewusstes Parlament sorgen. Er sollte sich dabei unter anderem auch um Minderheitsrechte kümmern. Beides ist potenziell lästig für die Regierung bzw. die Regierungsfraktion, der er angehört. Das müsste ihm egal sein. Er müsste den Konflikt in Kauf nehmen.
Insofern missbraucht Sobotka sein Amt bzw. seinen Statuts: Er, der Sebastian Kurz einst zum Aufstieg verholfen hat, nützte diesen im vergangenen Untersuchungsausschuss nicht etwa dafür, zu garantieren, dass politische Verantwortlichkeiten in Affären konsequent durchleuchtet werden; sondern dafür, größeren Schaden von Türkisen abzuwenden – und zwar eben im Wissen, dass es unmöglich ist für alle anderen Parteien (die Mehrheit!), ihn daran zu hindern und als Nationalratspräsident abzusetzen.
Nicht einmal jetzt, da er nicht über jeden Verdacht erhaben ist, für seine Partei Druck gegen Staatsanwaltschaften ausgeübt zu haben, sieht er einen Grund, zu gehen. Im Gegenteil: Im Wissen, dass man ihn nicht stürzen kann, schmettern entsprechende Forderungen an ihm ab. Womit er sich erst recht zu einer parlamentarischen Zumutung entwickelt: Er, der überparteilich sein sollte, macht sich einfach nichts daraus, es glaubhaft nicht zu sein.