Sie leisten Großes, aber

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ANALYSE. Die Regierungsspitze wächst über sich hinaus. Über Tirol wird man noch reden müssen.

FPÖ-Chef Norbert Hofer möge sich entschuldigen: Im vergangenen Nationalratswahlkampf hat er die Grünen als „Weltuntergangssekte“ bezeichnet. Seinerzeit ist das vielleicht unterhaltsam gewesen. Aus heutiger Sicht ist es unverschämt: Österreich ist gerade mit der größten Herausforderung seit dem Zweiten Weltkrieg konfrontiert, wie Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) betont. Und da leistet nicht nur er einen großen Job, auch Leute wie Vizekanzler Werner Kogler und Gesundheitsminister Rudolf Anschober von den Grünen tun das. Das muss man anerkennen: Einem Land und seinen Bürgern mitteilen, dass sie einer existenziellen Bedrohung gegenüberstehen, und zwar so, dass sie nicht durchdrehen, ist eine Kunst. Kurz und Anschober beherrschen sie.

Dem Bundeskanzler kommt eine Gabe zugute, die er diesmal voll in den Dienst der Sache stellt. Die Ausbreitung des Coronavirus eindämmen, lautet die Sache. Und die Gabe besteht wiederum darin, zu sagen, was ist – ruhig, klar und deutlich, in ganzen Sätzen sowie allen verständlich und (praktisch) ohne Verreden. Das können halt leider nicht viele; das hat der Rhetorik-Spezialist Thomas Albrecht in einem eigenen Buch detailreich ausgeführt.

Oder Anschober: Wie ein Arzt, der einem Patienten eine furchtbare Nachricht in einer Art und Weise überbringt, dass es diesen fast schon beruhigt. Quasi: Es ist etwas ganz Normales. Man muss jetzt nur A, B und C machen und dann gibt es die Chance, dass das etwas wird.

Oder Kogler, der Grüne, der dem Ernst der Lage entsprechend zum „Law and order“-Vertreter mutiert: Wenn sich einige Leute nicht freiwillig daran halten, nicht mehr in Gruppen herumzusitzen, werde man „alles tun, das zu unterbinden“. Ist das klar? Ziemlich sicher sogar.

Doch zum Punkt: Die Regierung hat Freiheitsbeschränkungen fixiert, die dann auch noch am Wochenende sowohl National- aus auch Bundesrat passiert haben. Seither läuft die Republik auf Notbetrieb, wie Kurz sagt. Das müsse sein. Wobei Kurz da immer wieder einen Satz nachschiebt, für den er kritisiert wird, weil er zu 100 Prozent religiös besetzt ist: Nach Ostern könnten wir demnach auferstehen. In einem katholisch geprägten Land wie Österreich kann man davon ausgehen, dass er damit gefühlte 90 Prozent der Leute gewonnen hat.

Zum Agieren der Bundespolitik gibt es aber halt leider auch ein Gegenstück: die Tiroler Landespolitik. Auch sie hat über Landeshauptmann Günther Platter (ÖVP) letzten Endes doch noch extrem hart durchgegriffen, indem sie eine Ausgangssperre verkündete. Wobei „extrem hart“ ein bisschen sehr augenzwinkernd gemeint ist: Wenn jemand in den Wald geht oder erklärt, dass er unbedingt raus musste, hat er nichts zu befürchten, wie ein Polizeiinspektor in den ORF-Sondersendungen wissen ließ. Um nicht missverstanden zu werden: Hier geht es nicht darum, brutale Härte einzufordern. Hier geht es um das Signal: Kurz und Kogler ermahnen die Österreicher, zu Hause zu bleiben. Und die Tiroler präsentieren zwar eine Ausgangssperre, betonen aber ausdrücklich, dass man es damit nicht so genau nehme.

Das ist schon sehr bemerkenswert. Tirol gilt in Skandinavien als Corona-Quelle. Hunderte haben sich beim Skiurlaub infiziert. Wobei man das natürlich erst einmal entdecken muss, um darauf reagieren zu können. Aber: Am 5. März wurde Ischgl, das Mallorca der Alpen, von Island (!) zur Hochrisikoregion erklärt. Am 8. März, nachdem die Infektion eines Barkeepers bekannt geworden war, teilte das Land in einer offiziellen Aussendung mit: „Eine Übertragung des Coronavirus auf Gäste der Bar ist aus medizinischer Sicht eher unwahrscheinlich.“ Personen mit Symptomen, die sich von 15. Februar bis 7. März in der Bar befunden hätten, könnten sich jedoch an die Gesundheitshotline 1450 wenden. Mit freundlichen Grüßen, sozusagen.

Ganz offensichtlich wollte man sich die zwar schneearme, zuletzt aber doch sonnige Wintersaison nicht verderben lassen. Das kann man so dahinschreiben, weil ja Platter selbst in der „Presse“ bestätigte, dass das vorzeitige Ende der Saison für „riesigen Streit“ mit den Betroffenen gesorgt habe.

Irgendwann aber musste der Landeshauptmann durchgreifen. Er konnte nicht mehr anders. Zumal es möglicherweise schon Zwölf geschlagen hatte. Und das Herumlavieren allzu sehr der konsequenten Regierungslinie widersprochen hatte, von der ein Teil laut Norbert Hofer ja angeblich den Weltuntergang betreibt. Wann er sich dafür wohl entschuldigen wird?

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