ANALYSE VON LIBERO*. Erwin Prölls Kneifen vor der Präsidentenwahl ist symptomatisch: Allmächtige Landespolitiker sind zu feig und zu bequem für die Bundespolitik.
Weil Erwin Pröll nicht will, muss also Andreas Khol den ÖVP-Kandidaten bei der Präsidentenwahl machen. Er hat gar nicht bestritten, dass er selbst darüber am meisten überrascht, ja sprachlos war. Jetzt möchte er als zweite Wahl Erster werden.
Die schwarze Posse hat zwei besondere Aspekte. Zum einen hat Pröll, der Allmächtige, seiner Partei gezeigt, wo Gott wohnt, in St. Pölten nämlich. Er hat sich dafür gerächt, dass die ihn nicht schon vor sechs Jahren für die Hofburg nominiert hat. Damals hätte er sehr wohl gewollt, hätte er Heinz Fischer zu gerne aus dem Amt bugsiert und sich das auch zugetraut. Allerdings wollte ihn seine Partei nicht.
Am Wollen hat es vermutlich auch dieses Mal nicht gemangelt, doch war sich Pröll seiner Sache offenbar nicht mehr so sicher. Das Argument, wonach Bundespräsident nicht in seine Lebensplanung passe, ist an sich legitim, kommt allerdings zu spät, um glaubwürdig zu sein. Pröll hätte seinem Obmann schon vor Monaten ein- für allemal absagen können; stattdessen hat er sich allseits bitten und huldigen lassen. Pröll hat sich schlicht nicht getraut. Damit steht er freilich nicht alleine da. Auch Oberösterreichs Josef Pühringer hat, als er ins Gespräch gebracht wurde, so entschieden abgewunken, als wäre ihm ein unmoralisches Angebot unterbreitet worden.
Diese noble Zurückhaltung steht in krassem Widerspruch zur Rolle, die sich Landeshauptleute ansonsten anmaßen.
Diese noble Zurückhaltung steht in krassem Widerspruch zur Rolle, die sich Landeshauptleute ansonsten anmaßen. Geleitet von einem ausgeprägten Ego, bestimmen sie weit über ihre eigentliche Funktion hinaus die österreichische Politik – längst nicht nur im Sinne des Staatsganzen. Dass seit Jahrzehnten wichtige Reformen immer wieder angekündigt und ebenso oft verschoben werden, ist wesentlich ihnen zuzuschreiben. Landeswohl geht grundsätzlich vor Gemeinwohl. Die Summe dieser Egoismen wird durch die Landeshauptleute-Konferenz verkörpert. Obwohl nirgendwo in der Verfassung verankert, ist sie zur Neben-Bundesregierung ausgewachsen, zum föderalistischen Zentralorgan der Verhinderung.
Bei so viel Macht müsste doch alle sechs Jahre wenigstens einer dabei sein, der sich auch das höchste Staatsamt zutraut. Seit dem Wiener Bürgermeister Franz Jonas (SPÖ) in den 1960er-Jahren und dem Innsbrucker Bürgermeister Alois Lugger 1974 ist jedoch kein Landespolitiker mehr bei einer Bundespräsidentenwahl in den Ring gestiegen.
Warum fehlt gestandenen Landespolitikern der Mut zur Bundespolitik? Erstens spielt es sich in der Landesliga bequemer. Landespolitik oder das, was sich dafür ausgibt, ist großteils Verwaltung und wird zudem von den Regierenden in ungesunder Weise dominiert. Die Landtage sind mangels sachlicher Kompetenz politisch weitgehend bedeutungslos und keine echten Parlamente, keine wirksamen Gegengewichte zur Exekutive. Da lässt es sich leicht regieren und Machtpolitik betreiben. Und um die geht es eigentlich.
Zudem ist Landespolitik mangels Inhalten zu einem guten Teil Inszenierung: Spatenstiche, Eröffnungen, Ehrungen, allerlei Festivitäten, Tingeltangel landauf, landab – Folklore mit postfeudalistischen Zügen. Im Zentrum steht immer der Landeshauptmann, egal ob schwarz oder rot. Hauptsache volkstümlich. Alles zusammen ist in demokratiepolitischer Hinsicht durchaus problematisch. Viele Bürgerinnen und Bürger halten das, was sie da aufgeführt bekommen, für Politik und danken mit satten, bis hin zu absoluten Mehrheiten. Kritik, Opposition, Konflikt – alles, was Demokratie ausmacht – wird gemeinhin als Störung empfunden.
Warum sollte jemand ein solches Biotop verlassen, um sich dem Risiko einer Wahl mit ungewissem Ausgang auszusetzen?
Die logische Antwort der Bundespolitik auf die Feigheit der Landespolitiker könnte sein, mehr Mut zu beweisen als sie.
Die logische Antwort der Bundespolitik auf die Feigheit der Landespolitiker könnte sein, mehr Mut zu beweisen als sie. Es gibt keinen Grund, warum sich eine Bundesregierung nach der anderen von den Landeshauptleuten vorführen und demütigen lässt. Erwin Prölls Hofburg-Verzicht könnte Anlass sein, die Provinzfürsten auf das richtige Maß zurechtzustutzen und dringend notwendige Reformen auch gegen sie durchzusetzen.
*) Der Libero ist ein politisch denkender, von Parteien und Interessenvertretungen unabhängiger Bürger.