Zeit den Spieß umzudrehen

-

ANALYSE. Österreich braucht ein Medienvolksbegehren. Es liegt in der Verantwortung von Zeitungen, sich darum zu kümmern – und nicht länger bloß auf eine bessere Politik zu hoffen.

Dürfen Medien ein Volksbegehren initiieren? Natürlich. 1964 hat der „Kurier“ für ein Rundfunkvolksbegehren gesorgt. Chefredakteur Hugo Portisch war ein schwarz-rotes Geheimabkommen zugespielt worden, wonach im ORF jeder leitende Posten doppelt besetzt werden sollte: Ein roter Leiter und ein schwarzer Stellvertreter, oder umgekehrt. Portisch rief zum Protest auf, das Begehren wurde von dutzenden Medien unterstützt und 832.353 Bürger:innen unterschrieben. Das entsprach damals gut einem Sechstel der Wahlberechtigten. Heute wären das mehr als eine Million.

Das Rundfunkvolksbegehren war erfolgreich. Der Journalist Engelbert Washietl schrieb später in der „Furche“: „Unter der Regierung Klaus II tritt am 1.1.1967 endlich ein neues ORF-Gesetz in Kraft und macht die Sendeanstalt zu einer öffentlich-rechtlichen Institution. Gerd Bacher wird ORF-Generalintendant, Helmut Zilk Fernsehdirektor. Mit eiserner Faust lotet Bacher alle Freiheiten aus, die das Gesetz bietet.“

Heute würde es zumindest vier Gründe dafür gegeben, dass Zeitungen zu einem Medienvolksbegehren schreiten. Es wäre keine Parteinahme für irgendjemanden, sondern eine Sache: Es geht um Rahmenbedingungen für eine funktionierende Demokratie. Da ist zu vieles im Argen:

  • Bundespräsident Van der Bellen hat vor einem halben Jahr aufgrund politischer Korruptionsaffären beklagt, das es einen Wasserschaden für die Republik gebe. Anfang Jänner betonte er, dass er nicht behoben sei. Heute könnte er das wiederholen. Er wird zu sehr ignoriert.
  • Man muss Medien nicht zur vierten Gewalt erklären, um er erkennen, dass sie eine wichtige Funktion haben: Sie helfen Bürger:innen zu wissen, was ist. Dabei tun sie sich jedoch schwer, wenn Informationspolitik im Zeichen von Amtsgeheimnis und Message Control steht oder nur in Form sogenannter Kanzlergespräche praktiziert wird. Ein Regierungschef hat sich nicht nur sporadisch Fragen zu stellen, wenn es ihm gefällt und er etwas unter die Leute bringen möchte, sondern mehrmals pro Monat.
  • Nicht nur Digitalisierung, sinkende Abo-Zahlen und steigende Papierpreise setzen besonders Zeitungen zu. In Österreich verschärfen willkürliche Inseraten- und eine vernachlässigte Förderpolitik ihre Krise zu einer existenziellen.
  • Und vor allem: Im ORF wäre wieder einmal Entparteipolitisierung angesagt. Im Stiftungsrat und darüber hinaus. Es ist schwer nachvollziehbar, warum über die Sendung „Im Zentrum“ gerade ein Versuch gestartet worden ist, Sebastian Kurz als politische Persönlichkeit zu rehabilitieren. Affären, die ihn als solche betreffen, sind noch nicht abgeschlossen. Trotzdem hat er eine Gelegenheit bekommen, zu agitieren wie eh und je und etwa Christian Kern mit Donald Trump zu vergleichen (beide würden Wahlergebnisse nicht anerkennen).

Im Sinne der Sache (funktionierende Demokratie) würde es nun an Zeitungen liegen, nicht nur zu warten, bis bei einer Regierung Vernunft einkehrt, sondern dafür zu mobilisieren. Saubere Förderungen statt willkürlich vergebener Inserate von der Stadt Wien bis zum Kanzleramt mögen zum Nachteil einiger von ihnen sein. Längerfristig wäre es jedoch im Interesse aller.

Immerhin geht es auch um die Wiederherstellung der Glaubwürdigkeit von Medien, die im Ruf stehen, abhängig zu sein und sich kaufen zu lassen. Das schadet Medien genauso wie Politiker:innen und Bürger:innen: Bürger:innen können sich nicht darauf verlassen, was geschrieben wird, Politiker:innen müssen erst recht befürchten, dass bezweifelt wird, was von ihnen berichtet wird.

Ein solches Volksbegehren wäre erfolgreich, wenn es von mehreren Zeitungen getragen wird und es gelingt, deutlich zu machen, worum es geht. Grund 1: Das Anliegen würde in einer Art und Weise für einen längeren Zeitraum auf die Agenda gesetzt werden, dass es von keiner Partei mehr ignoriert werden kann; schon gar nicht vor einer baldigen Nationalratswahl. Grund 2: Es ist nicht so, dass es nur eine kleine Öffentlichkeit gibt, die dafür gewonnen werden könnte; es ist eine Masse, die die Missstände sieht und daher unzufrieden ist mit den Verhältnissen.

dieSubstanz.at ist ausschließlich mit Ihrer Unterstützung möglich. Unterstützen Sie dieSubstanz.at gerade jetzt >

dieSubstanz.at – als Newsletter, regelmäßig, gratis

* erforderliche Angabe


Könnte Sie auch interessieren

4 Kommentare
DSGVO Cookie Consent mit Real Cookie Banner