ANALYSE. Mit dem zentralen „Newsroom“ gefährdet der ORF nicht nur interne Vielfalt, sondern auch unabhängigen Journalismus.
ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz ist stolz auf den zentralen, multimedialen Newsroom, der bis 2022 auf dem Küniglberg besiedelt werden soll, wie die Tageszeitung „Der Standard“ hier dokumentiert: Laut Wrabetz werde „eine sehr geballte Macht von sehr eigenständigen Journalistinnen und Journalisten zusammensitzen“. Er glaube nicht, dass die Gefahr besonders groß sei, dass man sie steuern könnte – selbst wenn man es wollte, so die Zeitung. Ganz ehrlich: Überzeugend klingt das nicht. Sofern man an so viel journalistischer Qualität und Vielfalt wie möglich interessiert ist, ist es vielmehr bedrohlich.
Der ORF hat eine marktbeherrschende Stellung. Mitbewerber gibt es, sie spielen zum überwiegenden Teil jedoch eine untergeordnete Rolle. Beispiel Fernseh-Marktanteile im vergangenen Jahr: ORF 1 und 2 kamen zusammen auf 30,2 Prozent. Dann folgte lange nichts und im Übrigen auch nichts Österreichisches, sondern ZDF mit gerade einmal 3,9 und RTL mit 3,7 Prozent. Erst dann kam die rot-weiß-rote Nummer zwei, nämlich Servus TV, wie VOX mit 3,4 Prozent aber nur mit einem Zehntel des ORF 1- und 2-Anteils. (Der Vollständigkeit halber: Puls 4 erreichte 3,3, ATV 3,2 Prozent.)
Die herausragende Stellung macht den ORF spielentscheidend für sogenannte „Message Control“-Politik, ist andererseits aber halt auch eine Art öffentlich-rechtliche Verpflichtung für den ORF selbst, umso verantwortungsbewusster zu agieren. Noch geschieht letzteres in erfreulich vielen Teilen: Es gibt sehr unterschiedliche Angebote im Fernsehen oder den kompletten Radiosender Ö1, die hohe journalistische Ansprüche pflegen; die von daher auch Qualität, Vielfalt und absolut auch einen Wettbewerb garantieren – schließlich bemüht sich jedes dieser Angebote um relevante sowie einzigartige, also exklusive Inhalte.
Rahmenbedingungen, die dazu beitragen, werden durch den zentralen Newsroom gefährdet. Journalistinnen und Journalisten lassen sich an einem Ort nieder. Da wird es zwar Auseinandersetzungen geben, aber eher weniger (gute) Verselbstständigungen, wie sie derzeit etwa allein schon dadurch begünstigt werden, dass Radioleute im Funkhaus in der Argentinierstraße arbeiten. Damit wird es bald vorbei sein.
Schlimmer noch: „Aus getrennten Ressorts wie Innenpolitik, Außenpolitik, Chronik, Wirtschaft, Wetter für TV, für Radio und Online wird jeweils eines für alle Medien, mit einem Chef oder einer Chefin plus Vize“, so der „Der Standard“. Innenpolitik-Chef wird also Edgar Weinzettl (derzeit „nur“ Radio) oder Hans Bürger (TV) oder eine ganz andere Person. Wobei die Betonung drauf liegt, dass es sich um einen Ressortchef, eine Ressortchefin handeln soll. Und noch schlimmer: Diese Zentralisierung könnte durch einen multimedialen Chefredakteur oder eine ebensolche Chefredakteurin vollendet werden. Diesbezüglich will sich Wrabetz laut „Standard“ aber noch nicht festlegen: „Das ist dann der Schlussstein.“
Man könnte glauben, der Generaldirektor wolle sich damit eine Wiederwahl sichern (die Entscheidung darüber steht im Sommer an). Regierenden Kräften kann das jedenfalls nur gefallen. Klare, gebündelte Strukturen erleichtern es ihnen ungemein, auf gewünschte Berichterstattung zu drängen bzw. die „große Newsmaschine“ in Gang zu setzen. Dazu brauchen sie nur noch eine Telefonnummer. Umgekehrt wird es für Journalistinnen und Journalisten schwieriger, sich zu widersetzen. In Verbindung mit türkiser „Message Control“ ist das unheilvoll.
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