Wer den Boulevard stärkt

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ANALYSE. Ohne die Inserate von Stadt Wien und Kanzleramt hätte die eine oder andere Zeitung größte Probleme. Vollkommen absurd ist die Verteilung des Innenministeriums.

Wieder einmal ist in den vergangenen Tagen ein Licht auf die Inseratenkorruption gefallen, die seit Jahren besteht. Geändert hat sich bisher wenig bis nichts. Nach wie vor handelt es sich um eine große Boulevardförderung, die auch demokratiepolitisch verwerflich ist. dieSubstanz.at hat dazu einige Zahlen ausgewertet.

Vorweg: Es gibt zwar eine Medientransparenzdatenbank, in die Einrichtungen, die der Rechnungshofkontrolle unterliegen, Medienkooperationen (= Inserate) ab einem Wert von 5000 Euro pro Quartal einmelden müssen. Diese Datenbank ist jedoch unbrauchbar – im Sinne von maximal benutzerunfreundlich.

Auch die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA), die es grundsätzlich gewöhnt ist, sich in einem Dickicht zurecht zu finden, hat sich in den Ermittlungsberichten zu den türkisen Affären daher auf die Auswertung gestützt, die über die steirische FH Joanneum auf der Seite medien-transparenz.at veröffentlicht wird.

Hier wird bestmögliches geliefert – und trotzdem handelt es sich nur um eine Annäherung. Gemeldet werden muss wir erwähnt nur ein Teil der Medienkooperationen. Nach Einschätzung des Rechnungshofes könnte in Wirklichkeit noch gut ein Drittel dazukommen. Außerdem werden ausschließlich Medientitel ausgewiesen. Problem: Ein Verlag mit einer Zeitung kann über Töchter verfügen, die mit dieser zusammenhängen. Das einfachste Beispiel dafür ist eine Internetseite zum Printprodukt. Umgekehrt gibt es auch bei den Auftraggebern keine Clusterbildungen. So werden Angaben für Stadt Wien oder Finanzministerium getrennt von „Wiener Wohnen“ oder Beteiligungsunternehmen des Bundes geführt, auf die, wie man diversen Chats entnehmen kann, der parteipolitische Einfluss extrem sein kann.

Zurück zur Boulevardförderung: Insgesamt und bezogen auf ganz Österreich wurden für das erste Quartal öffentliche Inserate im Wert von knapp 100 Millionen Euro veröffentlicht. Herausragend dabei sind das Bundeskanzleramt mit 14,5 Millionen Euro und die Stadt Wien mit 12,5 Millionen Euro. Die Bundesregierung bildet hier keine Einheit, jedes Ressort agiert für sich. Auf das Kanzleramt folgen das Finanzministerium (4,3), das Bildungsministerium (1,5), das Innenministerium (1,2) und das Verteidigungsministerium mit einer Million Euro.

Bei all den genannten spielt der Boulevardsektor eine bedeutende Rolle: Vom Kanzleramt flossen 4,5 Millionen Euro an „Krone“, Heute“ und „Österreich – oe24.at“, von der Stadt Wien 4,2 Millionen Euro. Pikant: Diese Mittel werden freihändig vergeben. Sie entsprechen schon ungefähr der Somme die unter dem Titel „Presseförderung“ an alle Tageszeitungen (!) zur Stärkung von Qualität und Vielfalt im Laufe eines gesamten Jahres vergeben werden.

Wobei dieSubstanz.at hier gleich versucht hat, eine Annäherungen zu Clustern vorzunehmen: Bei den Werten für die Krone sind auch jene für krone.at, bei Heute von heute.at und bei Österreich – oe24 von Österreich AM SONNTAG und oe24.at enthalten. Von Finanz-, Bildungs-, Verteidigungs- und Innenminister gingen in Summe noch einmal dreieinhalb Millionen Euro an sie.

Interessant ist die Gewichtung des Boulevardsektors nach Körperschaft: Bei der Stadt Wien entfällt auf die drei genannten Titel ein Drittel des gesamten Inseratenaufkommens. Beim Kanzleramt sind es mit 30,8 Prozent geringfügig weniger. Extrem hoch ist der Anteil beim Finanzministerium (46,7 Prozent) und beim Innenministerium (61 Prozent). Das ist sachlich überhaupt nicht nachvollziehbar, es entspricht schon gar nicht Auflagen- und Leserzahlen.

Natürlich ist Boulevard nicht Boulevard. Wenn man eine Einstufung vornehmen möchte, dann lässt sich eine solche „nach unten“ vielleicht über die Zahl der Verurteilungen durch den Presserat vornehmen. Heute verzeichnete im vergangenen Jahr drei, die Krone elf und Österreich – oe24 siebzehn.

Inseratenkorruption ist nicht zuletzt auch demokratiepolitisch und medienpolitisch verwerflich: Qualitätsjournalismus, der informierten, aufgeklärten Bürgerinnen und Bürgern dient, wird benachteiligt. Innovationsprozesse, die notwendig sind, damit Medien etwa auch im digitalen Umfeld bestehen können, werden gebremst: Große Marktteilnehmer haben kaum einen Grund, sich zu wandeln und zum Beispiel Bezahlsysteme einzuführen, wenn sie so sehr gefördert werden – mehr zu diesem Thema im „Standard“-Bericht „Toxisches Biotpo aus Freunderlwirtschaft muss weg“.

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