Kurier: Und die Politik schaut zu

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ANALYSE. Die Tageszeitung hat fast ein Viertel ihrer Redaktion zur Kündigung angemeldet. Das steht für eine größere Krise, die zum Beispiel der quasi nichtamtsführenden Medienministerin egal zu sein scheint.

Im vergangenen Jahr hat sich die Tageszeitung „Kurier“ von 20 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern getrennt, jetzt sind 40 der insgesamt noch 175 angestellten Redaktionsmitglieder beim AMS zur Kündigung angemeldet worden. In die Bücher des Unternehmens schauen kann man nicht. Eine Erklärung liefert jedoch die Reichweiten-Entwicklung: In den vergangenen Jahren ist es zu einem Einbruch gekommen.

Hatten 2010/11 laut damaliger Media-Analyse 8,2 Prozent der ab 14-jährigen Menschen in Österreich den Kurier gelesen, so waren es 2022/23 nur noch 5,4. Es handelte sich eher um Männer (6,2 Prozent) als um Frauen (4,7) und vor allem ab 60-Jährige.

Genauer: Vor allem bei den unter 60-Jährigen sind die Rückgänge extrem. Bei 30- bis 39-Jährigen beispielsweise von 8,9 auf 2,6 Prozent. Gut jeder zweite Leser, jede zweite Leserin war zuletzt 60 oder älter. Viele sind der Zeitung offensichtlich treu geblieben und in die Jahre gekommen. Ergebnis: Bei ab 70-Jährigen ist die Reichweite von knapp acht auf zehn Prozent gestiegen.

Gelesen wurde und wird der Kurier am ehesten in der Ostregion. Allerdings: 2020/11 belief sich die Reichweite auf bis zu 17,1 Prozent (in Wien), zuletzt ist sie sowohl in der Bundeshauptstadt als auch in Niederösterreich und dem Burgenland auf weniger als zehn Prozent gesunken. In den übrigen Ländern beträgt sie durchwegs weniger als drei Prozent.

Genug der Zahlen. Nicht wenige Leserinnen und Leser sind nach wie vor Leserinnen und Leser, aber halt von Print auf Digital umgestiegen. Allein: Hier lässt sich für ein Medium (pro Leserin, pro Leser) weniger Geld verdienen in Form von Abo- oder Werbeerlösen.

Der Kurier ist durchaus polarisierend. Er gilt als bürgerlich bis ÖVP-freundlich, was jedoch bei weitem nicht allen Redakteurinnen und Redakteuren gerecht wird, ja ihre journalistische Arbeit diskreditiert. Selbst wenn man trotzdem dabei bleibt, ist es Demokratie. Auch bürgerliche und ÖVP-freundliche Menschen haben Anspruch auf ein redaktionelles Angebot, ja brauchen ein solches. Zweitens: Auch sie haben Anspruch auf ein redaktionelles Angebot, das ständig dran ist an der Politik. 24/7. Mit weniger Redakteurinnen und Redakteuren wird es dem Kurier künftig schwerfallen, das in der gewohnten Dichte zu liefern. Das ist ein demokratisches Problem.

Schadenfreude bei nicht-bürgerlichen, nicht ÖVP-freundlichen Menschen wäre dumm. Alle Zeitungen haben zu kämpfen. Es ist ein umfassendes demokratisches Problem. Zumal die Politik, zumal die quasi nichtamtsführende Medienministerin Susanne Raab (ÖVP) zuschaut. Was soll sie tun? Man kann es gerne wiederholen: Anstelle willkürlicher Regierungsinserate wäre eine massive Aufstockung der Medienförderung nötig; insbesondere mit dem Ziel, Journalismus zu stärken.

Als die (einstigen) Großparteien Anfang der 2010er Jahre zur Kenntnis nahmen, dass sie immer kleiner werden, also Wählerinnen und Wähler verlieren, haben sie folgendes gemacht: Sie haben die Parteienförderung de facto verdoppelt. Das ist jetzt nicht direkt ein Vorbild für die Medienförderung, weil es eben mehr braucht, als einfach nur mehr Geld; weil es eben auch darum geht, bestimmte Ziele, wie informierte Bürgerinnen und Bürger, zu pflegen. Es zeigt aber, was finanziell geht – wenn man will.

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