Am Gängelband des Kanzlers

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ANALYSE. ORF-Redakteurssprecher Bornemann hat eine bemerkenswerte Rede gehalten. Sie gehört verstärkt: Österreichische Medienpolitik ist kein Zustand, sondern ein demokratiepolitischer Skandal.

Einerseits kann man sich nicht wundern darüber, dass Medien öffentliche Inserate gerne annehmen. 39,2 Millionen Euro flossen laut Medientransparenzdatenbank bzw. Auswertung auf der Seite medien-transparenz.at im ersten Quartal. Weil nicht alles gemeldet werden muss, war es in Wirklichkeit mehr. Aber belassen wir es dabei: Über ein Fünftel entfiel allein auf die drei auflagenstarken, Stimmung machenden Boulevardblätter „Kronen Zeitung“ (4,2), „Heute“ (2,8) und „Österreich/oe24“ (1,9 Millionen Euro).

Andererseits ist es schon bemerkenswert, dass sich Medien hier nicht wehren: Wer das Land kennt, weiß, dass bei der öffentlichen Hand immer auch parteipolitische Interessen im Spiel sind. Vor allem beim Kanzleramt, über das die meisten Regierungsinserate vergeben werden, und in dem zum Beispiel die „Stabstelle Medien“ von niemand geringerem als dem Medienbeauftragten und Vertrauten des Kanzlers, Gerald Fleischmann, geführt wird.

Das alles ist nicht dazu angetan, sicherzustellen, dass das im Vordergrund steht, was im Vordergrund zu stehen hätte: Von parteipolitischen Interessen unbeeinflusster Journalismus, der ausschließlich möglichst gut informierten Bürgerinnen und Bürgern zu dienen hat. Hier macht man sich nicht einmal die Mühe, einen gewissen Anschein zu wahren.

Natürlich: Gerade in der Krise haben viele Medien mit noch größeren Problemen zu kämpfen. Es ist jedoch absurd, so zu tun, als wären öffentliche Inserate umso wichtiger. Über dieses Argument kann man sogar dankbar sein: Es verweist auf verschärfte Abhängigkeitsverhältnisse.

Eine Medienszene mit Selbstachtung dürfte sich diese Verhältnisse nicht gefallen lassen; sie sind rufschädigend. Naheliegend wären eher Rufe nach einer höheren, existenzsichernden Förderung, die im Unterschied zu Inseraten nicht willkürlich, sondern nach objektiven Kriterien vergeben wird.

ORF-Redakteurssprecher Dieter Bornemann nützte seine Dankesrede zum Concordia-Preis am Montagabend für einen Aufschrei, der verstärkt gehört: Er appellierte an die Politik, ihn und seine Kolleginnen und Kollegen ihre Arbeit machen zu lassen, „auch wenn Sie keine Freude damit haben: Der ORF gehört den Österreicherinnen und Österreichern, nicht den Parteien!“

Mit der Pressefreiheit stehe es hierzulande nicht zum Besten: „Es ist wie mit unseren Alpengletschern: Beides ist noch da, schmilzt aber rapide dahin.“

Der Bedrohungen sind vielfällig. Sie reichen über die eingangs erwähnten Dimensionen hinaus. Bornemann verwies auf die „Rekordzahl an Pressesprechern und Social-Media-Beauftragten, die in den Ministerien, Parteien und Unternehmen sitzen und Redaktionen mit ihrem Spin überschwemmen“. Allein im Kanzleramt gibt es über 80 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dafür. Das sind viel mehr, als in durchschnittlichen Innenpolitikredaktionen tätig sind, wo es in der Regel eher so wenige Leute gibt, dass sie zu anfällig sind für Themenvorschläge dieser Stäbe, angebliche Fakten und dergleichen.

Das wichtigste Medium Österreichs ist der ORF, wo im August eine neue Führung bestellt wird. Bei der Kür des Generaldirektors gehe es nicht um die besten Ideen, so Bornemann. „Es geht darum: Wen will Bundeskanzler Sebastian Kurz am Chefsessel des ORF haben.“ Und bei den Landesdirektoren sei diese wichtigste Qualifikation wiederum die Zustimmung des Landeshauptmann, der Landeshauptfrau; über ein gesetzlich festgelegtes Anhörungsrecht ist das gewährleistet.

Sebastian Kurz hätte die Möglichkeit, alles anders, vieles besser zu machen; und zwar auch als sozialdemokratische Vorgänger, die Einflussmöglichkeiten ebenfalls missbrauchten. Kurz könnte die Gelegenheit nützen, zur ÖBAG-Thomas-Schmid-Affäre ein Kontrastprogramm zu starten und Größe zu zeigen. Er könnte medienpolitische Agenden neu ordnen, sie seinem Vertrauen entziehen und stattdessen zumindest einer Person übertragen, die fachlich kompetent ist und ihm persönlich nicht gar so nahesteht. Zum Nachfolger von Alexander Wrabetz könnte er wiederum einen Medienmanager mit internationaler und vielleicht auch öffentlich-rechtlicher Erfahrung machen (bzw. die türkisen Stiftungsräte wählen lassen).

Ob Sebastian Kurz das jedoch tun kann? Können würde er. Was das Wollen betrifft, gibt es zwei Dinge, die dagegen sprechen: Zunächst müsste er Kontrolle abgeben. Ein qualifizierter, über jeden parteipolitischen Verdacht erhabener ORF-Generaldirektor wird sich kaum etwas sagen lassen. Darüber hinaus müsste er insbesondere aber auch Landeshauptleute dafür gewinnen; gerade auch sie würden Einflussmöglichkeiten verlieren.

In der Krise, in der sich Kurz befindet, ist es erst recht schwer vorstellbar, dass er vor seine Leute tritt und sagt: „Wir sind zwar mächtig, wir geben aber Macht ab.“ Umso wichtiger ist es, dass öffentlicher Druck erhöht wird. Wie es Bornemann durch eine Rede getan hat. Oder wie es durch ein – von Peter Plaikner hier vorgeschlagenes – Volksbegehren möglich wäre: Es geht hier um einen Beitrag zu einer funktionierenden Demokratie, für die freie, journalistische Massenmedien nicht die Ausnahme, sondern die Regel sein müss(t)en.

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