Türkis-grüne Klimakrise

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ANALYSE. Größer noch als die Herausforderung, sich auf Maßnahmen zu verständigen, ist jene, Mehrheiten dafür zu gewinnen. Verdächtig: Diesbezüglich geschieht wenig bis gar nichts.

Die Schweizer Klimapolitik liege in Trümmern, schrieb die Neue Zürcher Zeitung nach dem Volksentscheid vom vergangenen Sonntag: Eine Mehrheit der Eidgenossen hatte sich gegen ein CO2-Gesetz ausgesprochen, durch das etwa Fliegen teurer werden sollte. Zumal bei solchen Abstimmungen immer auch innenpolitische Motive mitschwingen, sollte man gerade aus der Entfernung vorsichtig sein mit der Analyse. Was hier aber erwähnt werden muss, sind die extremen Stadt-Land-Unterschiede: In Zürich haben sich mit 72,3 Prozent fast drei Viertel für das Gesetz ausgesprochen, in den Metropolen Basel und Genf mit 68 und 65,4 Prozent rund zwei Drittel. Umgekehrt verhielt es sich in ländlichen Kantonen wie Obwalden, Appenzell Innerrhoden und Schwyz, wo knapp zwei Drittel gegen das Gesetz und damit auch eine schärfere Klimapolitik votierten.

Das ist nicht nur etwas spezifisch Eidgenössisches, damit geht auch eine Botschaft für andere Staaten einher: In urbanen Räumen, in denen man wirklich kein eigenes Auto braucht und wo eher auch besser verdienende AkademikerInnen leben, die sich mehr leisten können, ist man gerne bereit, mehr für fossile Energieträger zu bezahlen. Am Land, wo die PendlerInnen zu Hause sind, ist das anders.

Das kann, ja muss auf Österreich übertragen werden. Wobei gleich ein weiterer Aspekt hinzuzufügen ist: Laut jüngster Europabarometer-Befragung hat die Klimakrise keinen besonderen Stellenwert in der Bevölkerung. Natürlich: Im Vordergrund stehen gerade Gesundheit, wirtschaftliche Entwicklung und Arbeitslosigkeit. Aber: Während hierzulande nur zwölf Prozent „Umwelt und Klimawandel“ trotz allem weiterhin zu den beiden größten Herausforderungen der nationalen Politik zählen, tun es in Deutschland 27 und in Skandinavien bis zu 36 Prozent. Das sind drei Mal so viele.

These: Da läuft etwas falsch, da ist die österreichische Politik in ihrer Gesamtheit weit davon entfernt, über das nötige Problembewusstsein in der Bevölkerung zu verfügen und damit auch die Bereitschaft einer Masse, gewisse Dinge mitzutragen. Grüne glauben womöglich, dass Alternativlosigkeiten schlicht respektiert werden müssen, bei Türkisen muss man zweifeln, ob ein Bemühen vorhanden ist, Überzeugungsarbeit zu leisten: Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) lässt ausschließlich den Wirtschaftsforscher Hans-Werner Sinn warnen, dass es zu einem Wohlstandsverlust kommen könnte, aus der türkis-geführten Wirtschaftskammer kommt ebenso wenig Bereitschaft für eine CO2-Bepreisung wie aus dem Landwirtschaftsministerium; im Gegenteil, Ressortchefin Elisabeth Köstinger hat bereits wissen lassen, dass nicht einmal das Dieselprivileg fallen soll.

Um nicht missverstanden zu werden: Es gibt nicht die eine Lösung, sondern viele Möglichkeiten, die CO2-Bilanz zu verbessern. Verdächtig ist jedoch, dass nichts dafür getan wird, zumindest eine Mehrheit dafür zu gewinnen, jedenfalls nötige Änderungen hinzunehmen. In Deutschland ist ein solcher Ansatz gerade durch ein Urteil des Verfassungsgerichts entstanden; heutige Generationen dürfen demnach – vereinfacht ausgedrückt – nicht weiter auf Kosten nachfolgender Generationen leben; sonst müssen diese ihre Freiheiten noch viel stärker reduzieren als dies ohnehin schon notwendig werden könnte. In der Volkspartei hat es einst mit der „Ökosozialen Marktwirtschaft“ Reformansätze gegeben; sie aber sind so sehr vergessen, dass man glauben könnte, die Klimakrise sei bewältigt.

Die Grünen können sich darauf verlassen, dass ihre Wählerschaft mitgeht bei allfälligen Maßnahmen: Urbane Menschen sind – siehe Schweiz – dabei. Aber die ÖVP? Gerade auch unter Sebastian Kurz hat sie ihre größten Wahlerfolge zuletzt eher in ländlichen Regionen erzielt. Dort aber gibt es die größten Widerstände gegen einschneidende Änderungen. Also muss man sich wundern, wie wenig Stimmungsmache (in einem konstruktiven Sinne) die Partei diesbezüglich betreibt: Entweder nimmt sie hier Verluste in Kauf oder sie bleibt inhaltlich auf der Bremse. Wahrscheinlicher erscheint letzteres.

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