Erklärt euch!

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ANALYSE. Dritte Infektionswelle – und Regierende lassen offen, worum es geht. Das verschärft die Glaubwürdigkeitskrise.

Damit kein Missverständnis entsteht: Das Problem ist nicht, dass Bundes- und Landespolitiker bei der Corona-Bekämpfung schon wieder einen Haken schlagen. Das Schlimme ist, dass sie das einfach machen, ohne auszuführen, warum sie das tun; ohne eine Art „SWOT“-, also Stärken-Schwächen-Analyse zu bisherigen Maßnahmen und Methoden durchzuführen, deren Ergebnisse im besten Fall ohnehin selbsterklärend wären. Damit berauben sie sich selbst mehr und mehr ihrer Glaubwürdigkeit, vor allem aber auch ihrer Wirkungskraft.

Als Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) vor einem Jahr vor hunderttausend Toten warnte, hatte das zur Folge, dass wirklich viele Menschen zu Hause geblieben sind und alle Kontakte abgebrochen haben. Später trug ihm das den Vorwurf ein, Angstmache betrieben zu haben, da war die erste Welle jedoch vorbei.

Zum Verhängnis wurde ihm und Seinesgleichen nicht nur, dass eine zweite Infektionswelle gefolgt und nun eine dritte da ist, sondern eben auch, dass sie nie eine umfassende Zwischenbilanz durchgeführt haben: Gut, Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) hat auf einer Pressekonferenz im vergangenen Spätsommer einmal Fehler eingestanden und gefordert, ihn zu kritisieren. Im Übrigen aber ist er seither so sehr mit Gegenwärtigem überfordert, dass er gar nie zur Rückschau kommt. Kurz wiederum vermeidet es tunlichst, sich mit möglichen Fehlern öffentlichen auseinanderzusetzen.

Auf die erste Welle folgte zunächst also eine zweite Welle: Hier trat das Regierungsquartett, das absurderweise als virologisches Quartett bezeichnet wurde, immerhin einen Schritt zurück. Nicht mehr Kurz, Anschober sowie Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) und Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) erklärten das Infektionsgeschehen und Konsequenzen daraus. Sinnvollerweise kamen bei den Pressekonferenzen auch Mediziner zu Wort. Damit wurde wenigstens signalisiert, worauf es ankommt; eine Überlastung der Spitäler zu vermeiden, nämlich.

Die zweite Welle dauerte jedoch zu lang. Zahlen sind seither egal. Auf allen Ebenen: In Tirol ist die Inzidenz bestätigter Infektionen, die immer noch eine Frühwarnung im Hinblick auf die kommende Entwicklung der Intensivpatienten und letztlich auch der Todesfälle ist, in den vergangenen Tagen explodiert. Was aber tut Landeshauptmann Günther Platter (ÖVP)? Er drängt auf Lockerungen (nachzulesen z.B. hier). Kurz wiederholt auf dem Landesparteitag der Vorarlberger Volkspartei die Verheißung, es werde einen normalen Sommer geben und Anschober traut sich nur noch, sich besorgt zu geben: Mit einem Lockdown würde er nicht durchkommen, mit verbindlichen Regelungen für regionale Beschränkungen tut er sich ebenfalls schwer. Der Mann ist ohnmächtig. Siehe Wiener Neustadt: Hier, im „Hotspot“ Niederösterreichs, hat es eine gefühlte Ewigkeit gedauert, bis der Bürgermeister Einsicht gezeigt hat und bis dann auch wirklich gehandelt worden ist.

Was bleibt, ist maximale Orientierungslosigkeit bei einer wachsenden Masse, die gerne vernünftig handeln möchte: Werden jetzt tausende Tote in Kauf genommen, um es ganz brutal zu formulieren? Oder worum geht es ab sofort?

Das sind sehr grundsätzliche Fragen, die auch ein Jahr nach der Pandemie nicht umfassend diskutiert sind, zu denen sich auch die Regierung nie festgelegt hat: Was ist das Ziel? Am Anfang wurde eine Art „Zero-Covid“-Strategie verfolgt, koste es, was es wolle. Heute hat sich das eher ins Gegenteil verkehrt, da wird auch ein schier unheimliches Infektionsgeschehen in Kauf genommen. Das gehört einmal klargestellt, dazu wären Anhaltspunkte überfällig. Zumindest nach dem Vorbild der Schweiz; dort gibt es gewissermaßen eine Präambel zur Corona-Bekämpfung, in der zum Beispiel steht, dass es das oberste Ziel sei, „menschliche Opfer (schwere Krankheitsfälle und Todesfälle) zu verhindern und den wirtschaftlichen Schaden tief zu halten“. Das muss man ja nicht abschreiben; man kann es auch ganz anders sehen. Wichtig wäre „nur“, eine allgemeine Orientierung zu gewähren.

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