ANALYSE. Einer der letzten Schwarzen macht in einer relevanten Frage deutlich, wie verunsichert er ist.
Die steirische Landtagswahl findet erst im Spätherbst statt und ist daher noch nicht entschieden. Die ÖVP muss jedoch mit dem Schlimmsten rechnen: Umfragen sehen sie, die 2019 auf Platz eins kam, seit geraumer Zeit hinter FPÖ und SPÖ zurückliegen.
Ein solches Ergebnis wäre fatal für das, was man als die schwarze Volkspartei bezeichnen kann. Ihr Vorsitzender, Landeshauptmann Christopher Drexler, ist einer ihrer letzten Vertreter. Soll heißen: Wenn (de facto) er verliert, ist es unter Umständen noch viel schlechter um sie bestellt.
Vielleicht zählt das zu den Gründen, warum er Nerven zeigt. Warum er sich zum Beispiel nicht traut, zur stimmungsrelevanten Frage der Strafmündigkeit einen Standpunkt einzunehmen.
In einer Grundsatzrede an der Alten Universität Graz hat er die Strafmündigkeit ab 14 infrage gestellt. Er wies darauf hin, dass Kinder als mutmaßliche Täter nach schwersten Missbrauchsfällen auf freiem Fuß seien – und warf lediglich die Frage auf, ob das ein Umgang sei, „den wir als liberale Gesellschaft wollen“.
Und – laut ORF.AT – weiter: „Ich habe das Gefühl, dass immer mehr dieses Vorgehen nicht verstehen und akzeptieren – mir jedenfalls geht es so. Ich weiß nicht, ob die diskutierte Herabsetzung der Strafmündigkeit eine oder gar die Lösung ist. Aber ich weiß, man kann nicht zur Tagesordnung übergehen.“ Die Schweiz gehe anders damit um: „Da beginnt die Strafmündigkeit bereits mit zehn Jahren. Ich stelle mir die Frage: Ist jemand, der alt genug ist, solche Gräueltaten zu begehen, nicht auch alt genug, Verantwortung dafür zu übernehmen?“
Alles in allem liefert Drexler hier Unklarheit und Halbinformation: Kaum jemand wird ihn dafür wählen, dass er die erwähnten Fragen aufwirft. Entweder FPÖ, die mit voller Härte auch gegen Kinder vorgehen würde, oder eine andere Partei, die sich da konträr positioniert.
Das Aufwerfen von Fragen ist ungeachtet dessen ein nicht unvernünftiger Zug: Man kann nicht zu allem gleich eine klare Antwort haben. Geradezu erschreckend ist jedoch, wie Drexler auf die Strafmündigkeit ab zehn in der Schweiz verweist. Nämlich – wie auch FPÖ-Chef Herbert Kickl oder Verfassungsministern Karoline Edtstadler (ÖVP) – unterschlagend, dass diese Regelung nicht für Härte, sondern eher sogar für einen durchaus fortschrittlichen Zugang steht, der in gewisser Weise dem Fürsorge-Gedanken folgt: „Für das Jugendstrafrecht ist vorwiegend der Schutz- und Erziehungsgedanke maßgebend“, erklärt Gian Ege, Strafrechtler an der Uni Zürich, in einem Gespräch für das Nachrichtenmagazin „News“.
Im Klartext: Für unter 15-Jährige gibt es bei den Eidgenossen weder eine Geld- noch eine Haftstrafe. Als Strafe möglich ist eine Art „Verwarnung“, vergleichbar mit einer gelben Karte im Fußball, oder eine verpflichtende Tätigkeit bei einer karitativen Einrichtung etwa; diese darf jedoch höchstens zehn Tage dauern.
Strafmündigkeit ab zehn bedeutet in der Schweiz vor allem dies: Bei einem Kind schaut der Staat genauer hin, prüft, ob es Betreuungs- oder Behandlungsbedarf gibt, ambulanten oder auch stationären in schwerwiegenden Fällen.
Die Idee bei dem Ganzen ist, dass Heranwachsende gerade noch nicht so sehr dafür zur Verantwortung gezogen werden können, was sie tun. Und dass sie noch formbar sind. Beziehungsweise dass man sie, umgangssprachlich formuliert, noch auf die „rechte Bahn“ bringen kann. Und, der Vollständigkeit halber, dass das der Staat übernehmen sollte, wenn Grund zur Annahme besteht, dass sich Erziehungsberechtigte nicht (ausreichend) darum kümmern.