Vom Zerfall

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ANALYSE. Die Rede von einer „Großen Koalition“ und Kickls Ankündigung, „Volkskanzler“ werden zu wollen, täuschen über gegenläufige Entwicklungen hinweg.

Der Begriff „Große Koalition“ gehört auf den Index. Erstens: Wörtlich gemeint wird damit eine Regierungszusammenarbeit der Parteien, die auf parlamentarischer Ebene über die meisten Mandate verfügen. Bei einem Wahlausgang, der dem Durchschnitt der derzeitigen Umfrageergebnisse entspricht, wären das FPÖ und SPÖ. Zweitens: Gemeint ist aber Rot-Türkis oder Türkis-Rot. Problem: Dafür gibt es aus heutiger Sicht nicht einmal eine Mehrheit.

Wer von einer „Großen Koalition“ spricht, lebt in Wirklichkeit in einer Welt von gestern und vermittelt den Eindruck, dass noch immer die einstigen Großparteien SPÖ und ÖVP bestimmend seien. Die Einsicht, dass künftig eine weitere Partei (Grüne oder Neos) dafür nötig wären, macht die Sache nicht besser. Eine solche wird bei einem solchen Verständnis zu einer bloßen Mehrheitsbeschafferin degradiert, die halt nötig ist.

Wäre es anders, würde man von vornherein von einer Ampel- oder eine Dreiparteienkoalition reden. Das wäre sogar wichtig, ja gerade im Sinne all jener notwendig, die eine solche Konstellation wollen, damit die FPÖ in Opposition bleibt.

Eine „Große Koalition“ mit einer kleineren dritten Partei als bloße Mehrheitsbeschafferin kann nicht funktionieren. Diese Partei würde eigene Anhänger enttäuschen und in eine größere Krise stolpern; und mit ihr letzten Endes auch diese vermeintliche „Große Koalition“.

Wenn, dann müsste man Koalition neu denken, müssten ÖVP und SPÖ Klientelpolitik hintanstellen und sich mit der dritten Partei zum Beispiel auf zwei, drei Schwerpunkte konzentrieren, die allen Beteiligten wichtig sind und die Österreich weiterbringen.

In einer Welt von gestern lebt aber auch FPÖ-Chef Herbert Kickl. Klar: Er zieht nicht zuletzt gegenüber eigenen Anhängern eine Show ab, tut so, als wolle ganz Österreich, dass er Kanzler wird. Als müsse ihm der Bundespräsident einen Regierungsbildungsauftrag erteilen. In Wirklichkeit will eine Mehrheit, dass er nicht Kanzler wird und muss der Bundespräsident gar nichts.

Zumal es auch weniger denn je eine erkennbare Präferenz der Wählerinnen und Wähler gibt. Zum Ausdruck kommt dies ebenfalls durch die durchschnittlichen Umfrageergebnisse: FPÖ und ÖVP, die die einzig theoretisch machbare Konstellation für Kickl bilden könnten, halten – Stand: 13. März – 48,1 Prozent. Damit wäre allenfalls eine hauchdünne Mehrheit auf parlamentarischer Ebene möglich. Sollte es neben der Bierpartei auch die KPÖ (derzeit 3,4 Prozent) ins Hohe Haus schaffen, aber nicht einmal das.

Insofern muss auch Kickl damit rechnen, dass ihm der Zerfall der Parteienlandschaft zum Verhängnis wird. Ja, nicht nur das: Dass er sich im Übrigen durch seine Radikalisierung und seine Kompromisslosigkeit ein Bein stellt. Er kann sich jedenfalls nicht erwarten, dass sich mehrere Parteien zur Verfügung stellen, ihm eine Volkskanzlerschaft zu ermöglichen, wenn er sie allesamt die ganze Zeit als Volksverräter beschimpft.

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