Zur sogenannten „Notenwahrheit“

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BERICHT. Noten sagen wenig aus, können aber große Folgen haben. Ein Bildungswissenschaftler hat’s untersucht und Reformvorschläge erstellt.

Der Salzburger Bildungswissenschaftler Ferdinand Eder war so freundlich, den Beitrag, den er vor vier Jahren für die Zeitschrift „Erziehung und Unterricht“ (Ausgabe 7-8/2019) geschrieben hat, umgehend zu schicken. Er passt zu einer aktuellen politischen Auseinandersetzung, die von der Forderung der Wiener SPÖ ausgeht, Noten abzuschaffen. Titel des Beitrags: Gibt es „Notenwahrheit“? Um es kurz zu machen: Eders Antwort, die auf Untersuchungen dazu basiert, lautet klipp und klar „Nein“.

Notenwahrheit setzte er unter Anführungszeichen, weil der Begriff dem türkis-blauen Regierungsprogramm des Jahres 2017 entnommen ist. Dort ist angekündigt, eine solche Wahrheit wiederherzustellen. Worüber sich Eder doppelt wunderte: Nicht nur, dass es keine solche gibt, es hat sie nie gegeben, wie er überzeugt ist.

Konkreter: Noten seien einzig im Referenzrahmen einer (!) Schulklasse einigermaßen vailde. Darüber hinaus wird’s schwierig, zwischen Schulen bzw. Schultypen seien sie überhaupt nicht vergleichbar. Ein Hinweis dazu liefert eine Auswertung, die Eder zum Anteil der „Sehr gut“-Noten an Salzburger Volksschulen gemacht hat. Im Bezirk Salzburg Stadt belief er sich in Deutsch auf 43 und in Mathematik auf 52 Prozent. Schon in Salzburg Land war er deutlich niedriger. Im Bezirk Zell am See war er mit 19 Prozent in Deutsch und 25 Prozent in Mathematik allerdings überhaupt nicht einmal halb so groß. Sozioökonische Hintergründe und dergleichen können diese Extreme nicht erklären, ist Eder überzeugt. Dafür spricht auch, dass es nur eine begrenzte Übereinstimmung zwischen festgestellten Bildungsstandards und erreichten Noten gibt.

Alles in allem gibt es laut Eder „auf den verschiedenen Ebenen und in den einzelnen Sektoren des Schulsystems Inkonsistenzen, die anzeigen, dass in hohem Ausmaß gleiche Noten für ungleiche Leistungen oder ungleiche Noten für gleiche Leistungen vergeben werden“.

Das Schlimme ist, dass fehlende „Notenwahrheit“ nicht ohne Folgen bleibt, wie der Bildungswissenschaftler ausführt: „Auf individueller Ebene bedeutet sie, dass viele junge Menschen falsche Rückmeldungen über ihre tatsächlichen Leistungen erhalten und daraus Schlüsse über ihre Leistungsfähigkeit bzw. ihr Leistungspotenzial ziehen.“ Auf gesellschaftlicher Ebene würden Noten wiederum die Basis bilden, „auf der Schülerinnen und Schüler für unterschiedliche Laufbahnen ausgewählt und damit für bestimmte Berufe in Position gebracht werden.“

Eder wirft die Frage auf, ob Ziffernnoten in einem effizienten Bildungssystem überhaupt noch einen Platz haben: „Es fehlt ihnen das Potential, Lernen effizient zu fördern, und ihre sonstigen Funktionen sind teilweise sozial kontraproduktiv oder werden zunehmend obsolet.“

Beurteilungssysteme, die besser geeignet sind, müssten auf jeden Fall die folgenden Merkmale aufweisen: Direkte und unmittelbare Leistungsrückmeldung, die das Lernen der Kinder und Jugendlichen während des Lernprozesses unterstützen; sie sollten den Leistungsstand bzw. das Können der Schülerinnen und Schüler sachangemessen wiedergeben; zum weiteren inhaltlichen Lernen animieren; die Persönlichkeit stärken bzw. die Persönlichkeitsentwicklung unterstützen; und nach Möglichkeit nicht diskriminierend sein.

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