Von nichts kommt nichts

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ANALYSE. In der ÖVP wird schon lange keine Bildungs-, geschweige denn Debatte mehr geführt. Ein Ergebnis ist Martin Polaschek. Das rächt sich gerade jetzt in der Krise: Zu viele Kinder bleiben zurück.

Irgendjemand dürfte Bildungsminister Martin Polaschek (ÖVP) gesagt haben, dass es keine so gute Idee ist, sich als Politiker selber zu benoten. Zu Beginn der Woche war er in einem VN-Interview noch bereit dazu gewesen: „Ich würde mir ein Gut geben.“ Zwei Tage später sagte er in der ZIB2: „Ich glaube, man soll sich nicht selber benoten, weil man wahrscheinlich nie objektiv ist.“ Vor allem aber riskiert man höhnische Kommentare.

Es reicht, dass sich Polaschek ungerecht behandelt fühlt: In der ZIB2 beklagte er sich gegenüber Armin Wolf darüber, dass es immer nur um eine punktuelle Antwort gehe, „bei der man irgendwie dann möglicherweise nicht in ein so gutes Licht gerät, wie man es eigentlich verdient hätte“. In den Minuten davor war ihm dieses Schicksal nicht zu Unrecht zuteilgeworden. Immer wieder ließ er durchblicken, keinen Plan zu haben, indem er betonte, dass man sich dies und jenes „anschauen“ müsse. Zum LehrerInnenmangel bzw. der Frage, ob die verlängerte Ausbildung sinnvoll ist; zur Anschaffung von CO2-Messgeräten in den Klassenzimmern; zur Fortsetzung des „Corona Panel Projects“ der Uni Wien, das ein wichtiger Beitrag zu einer evidenzbasierten Politik sein könnte; oder zu den 16 Prozent aller Volksschulkinder, die Nachhilfeunterricht benötigen. „Man muss sich anschauen, warum wirklich so viele Nachhilfe brauchen.“

Die VN hätten Polaschek die Möglichkeit geboten, grundsätzliche Fragen zu erörtern. Im Titel ist das Ergebnis dann so zusammengefasst worden: Er wolle keine Systemdiskussion. Worüber könnte man also reden mit ihm?

Der 56-Jährige ist Ausdruck eines größeren Versagens: Wie konnte es passieren, dass einer wie er vom steirischen Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer und von Bundeskanzler Karl Nehammer (beide ÖVP) als Bildungsminister ausgewählt wurde? Dass damals, Anfang Dezember, die Zeit gedrängt hat, ist keine Erklärung; das tut sie bei Regierungsumbildungen immer. Das Problem ist, das Bildungspolitik schon zu lange nicht die Priorität hat, die sie haben sollte. Und dass das zunehmend sichtbar wird.

Wie in ein paar anderen Parteien wird auch in der ÖVP schon lange keine Bildungs-, geschweige denn Debatte mehr geführt. Vor ein paar Jahren begannen Vertreterinnen und Vertreter im Westen, sich Gedanken über eine Gemeinsame Schule der 10- bis 14-Jährigen mit innerer Leistungsdifferenzierung zu machen. Innere Widerstände sorgten dafür, dass sie noch in den 2010er Jahren, also vor der Pandemie, damit aufhörten. Sonst gibt es keine vergleichbaren Prozesse. Also hat sich in der Partei auch niemand mehr hervorgetan, der sich als Bildungsminister angeboten hätte.

Und überhaupt: Im türkis-grünen Regierungsprogramm von Anfang 2020 (vor der Pandemie!) hatte Bildungspolitik so wenig Bedeutung wie im ehemaligen, dem türkis-blauen. Auf eineinhalb luftig beschriebenen Seiten stehen Allgemeinplätze, wie „Starke Schulen brauchen gute Organisation, bedarfsgerechte Ressourcen und moderne Lehr- und Lerninhalte“.

Das rächt sich: Zur ÖVP- und zunehmend auch Grünen-Krise gehört, dass inhaltliche Herausforderungen vernachlässigt werden. Und zwar eben nicht erst seit Beginn der Pandemie und all der anderen Krisen, deren Bewältigung sehr viel Energie kostet. Das hat einen Vorlauf, der sich jetzt erst recht nicht mehr korrigieren lässt.

Und der durch Martin Polaschek zum Ausdruck kommt: Infolge der Pandemie sind zu viele Kinder zurückgeblieben, haben zu viele Lehrerinnen und Lehrer diesen Job aufgegeben. Da reicht es nicht, zu sagen, man müsse sich dies und jenes anschauen. Da muss man sich natürlich einer Systemdiskussion stellen, wenn man könnte, läuft hier doch einer dieser gesellschaftlichen Spaltungsprozesse auf Hochtouren: Kinder, die zurückgeblieben sind und bei denen das aufgrund eines wachsenden Personalmangels nicht mehr wettgemacht werden kann, bleiben ein Leben lang zurück. Schlimmer: Mit der Teuerung geht Verarmung einher, die vor allem auch Kinder betrifft und die sie um noch mehr Chancen bringt.

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