Sitzen geblieben

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ANALYSE. Eine Gemeinsame Schule wäre wichtiger denn je. Die Politik hat sich davon jedoch entfernt. Verhängnisvollerweise aber nicht, weil sie eine bessere Idee hätte.

„Die Schulpolitik macht Ferien in Skandinavien“, hat „Presse“-Chefredakteur Florian Asamer im Leitartikel der Sonntagsausgabe seiner Tageszeitung geschrieben. Damit ist alles gesagt. Alles? Es lohnt sich, den Text zu lesen. Zumal Asamer ein Bekenntnis zur Gemeinsamen Schule der Zehn- bis 14-Jährigen ablegt, aber bedauert, was ist. Zitat: „Erkenntnisse, dass die Entscheidung zwischen Gymnasium und Mittelschule auch für viele Begabte einfach zu früh kommt und Familien zu einer sinnlosen Einser- und Zweier-Jagd auf dem Rücken der Kinder zwingt, führen nicht und nicht zu einer Veränderung.“

Die „Presse“ ist kein linkes Blatt. Andererseits ist die Gemeinsame Schule längst kein linkes Konzept mehr. Es ist eher sogar so, dass sie bei Sozialdemokraten, bei denen sie einst Gesamtschule hieß, in Vergessenheit geraten ist mit Einführung der „Neuen Mittelschule“ vor ein paar Jahren. (Auch in Andreas Bablers Programm für den Parteivorsitz war sie nicht enthalten.) Darauf gedrängt haben zuletzt vor allem Bürgerliche und Grüne.

Die Gemeinsame Schule war in den 2010er Jahren der Hauptgegenstand der sogenannten Westachse, gebildet von ÖVP-Ländervertretern wie Markus Wallner, Günther Platter und Wilfried Haslauer. Gefordert wurde sie zudem nicht nur von Koalitionspartnern (Grüne), sondern auch von Vertretern der Wirtschaftskammer und der Industriellenvereinigung. Sie trugen das Ganze vor allem in Vorarlberg mit.

Das ist jedoch Geschichte. Die Westachse steht nicht mehr für die Gemeinsame Schule. Vordergründig heißt es, „Wien“ wolle keine solche ermöglichen und daher könne man es vergessen. In Wirklichkeit geht es jedoch um mehr: Um eine fehlende Bereitschaft und eine fehlende Kraft, noch Großes zu gestalten.

Dass es in Zeiten multipler Krisen unzählige Herausforderungen zu bewältigen gibt, ist nicht ausschlaggebend. Unter Reinhold Mitterlehner wäre die Bundes-ÖVP nahe dran gewesen, die Schule der 10- bis 14-Jährigen zu ermöglichen. Dann kam jedoch Sebastian Kurz. Für ihn war eine solche vor allem deswegen kein Anliegen: Das Seine war das Populäre; und in den eigenen Reihen möglichst alle maßgeblichen Kräfte zufriedenzustellen. Eine Gemeinsame Schule hätte jedoch für Unruhe gesorgt, sehr viel Überzeugungsarbeit erfordert und so weiter und so fort; ein jahrhundertealtes System hätte verändert werden müssen und das hätte Krach insbesondere mit eigenen AHS-Vertretern bedeutet. Das wollte er nicht.

Nachfolger Karl Nehammer könnte nicht einmal mehr, wenn er wollte. Wie die ÖVP-Landeshauptleute im Westen ist er in einer schwachen Position. Die einen haben (krachende) Wahlniederlagen hinter sich, er muss – wie Wallner – schauen, wie er eine solche im kommenden Jahr begrenzen kann. Daher gibt es grundsätzlich keine großen Reformen mehr, mit denen strukturelle Veränderungen einhergehen. Es gilt das ungeschriebene Gesetz: „Den Leuten ist nichts mehr zumutbar. Sie sind schon müde wegen all der Krisen.“

Der Bedarf für eine Gemeinsame Schule wäre größer denn je: Zu viele Kinder bleiben in der Schule buchstäblich sitzen. Kommen nicht weit. Das gehört geändert. Abgesehen davon könnten in einer Schule mit Individualisierung und Leistungsdifferenzierung alle weiter kommen als sie es derzeit tun. Das wäre grundsätzlich gut. Aufgrund des wachsenden Fachkräftemangels würde es aber auch gesamtgesellschaftlich bzw. wirtschaftlich und sozial immer wichtiger werden.

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