ANALYSE. Österreich gehört zu den Ausnahmen im europaweiten Vergleich. Und das hängt auch mit innenpolitischen Versäumnissen zusammen.
Am Rande der UN-Vollversammlung in New York legte Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) ein Bekenntnis zu den EU-Sanktionen gegen Russland ab. Zugleich sprach er sich dafür aus, die Maßnahmen zu „evaluieren und zu schauen, ob sie treffsicher sind“: „Sanktionen dürfen uns nicht mehr schwächen als die, denen sie gelten sollen.“
Zumindest ebenso bemerkenswert ist die Feststellung des Kanzlers, dass es „gewisse Verschleißerscheinungen“ in der westlichen und damit auch österreichischen Bevölkerung gebe. Die Menschen seien frustriert, weil die Sanktionen nicht jetzt schon Wirkung zeigen würden. Da brauche man Geduld.
Das mit dem wachsenden Frust mag auf Teile der österreichischen, nicht aber auf die gesamte EU-Bevölkerung zutreffen. Im Rahmen der Europarometer-Befragungen haben sich in allen Mitgliedsstaaten zusammen im Juni und Juli kaum weniger Bürgerinnen und Bürger für die Sanktionen ausgesprochen als im April und Mai. Nämlich 78 nach zunächst 80 Prozent. Dagegen waren nur 15 nach zunächst 17 Prozent. Auf höchstem Niveau kaum geändert hat sich die Zustimmung in Schweden (93 Prozent) und auf sehr hohem Niveau in Deutschland (81 Prozent). Beinahe konstant am kleinsten geblieben ist sie in Bulgarien (46 Prozent).
In den meisten Mitgliedsstaaten beliefen sich die Veränderungen auf zwei, drei Prozentpunkte. Zweistellig waren sie nur in Griechenland – minus zehn Prozentpunkte auf 60 Prozent Zustimmung – und in Österreich, wo die Zustimmung mit ebenfalls minus zehn Prozentpunkten auf ebenfalls weit unterdurchschnittliche 64 Prozent eingebrochen ist. 32 Prozent haben sich hierzulande zuletzt gegen die Sanktionen ausgesprochen. Das waren fast doppelt so viele wie im erwähnten Durchschnitt der EU-27 (17 Prozent).
Gründe? Es ist wohl eine Kombination aus der Bedrohung, die wahrgenommen wird, der Haltung zu Russland und der Ukraine sowie dem Umgang der nationalen Politik mit alledem. In Österreich wird nicht einmal eine Sicherheits-, geschweige denn Neutralitätsdebatte geführt. Nehammer hat gleich im März erklärt, dass es eine solche nicht gebe. Damit könnte für nicht wenige Menschen der Eindruck einhergehen, dass das „nicht unser Krieg“ ist und „wir“ daher auch nicht mit Sanktionen darauf reagieren sollten. Politik hat es vernachlässigt, das aufzuklären. Es wird nicht agiert, sondern eher nur auf wachsenden Unmut reagiert; etwa, indem der oberösterreichische Landeshauptmann Thomas Stelzer (ÖVP) die Sanktionen infrage stellt oder indem der Kanzler nun eine Evaluierung fordert.
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