ANALYSE. Bei den Sanktionen treffen ein stimmungsgetriebener Landeshauptmann und ein überforderter Kanzler aus ein und derselben Partei zusammen. Putin könnte es gefallen.
Politik müsse Notwendiges populär machen, hat der steirische Ex-Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer (ÖVP) immer wieder gesagt. Für den oberösterreichischen Landeshauptmann Thomas Stetzer (ÖVP) geht’s schlichter: Politik muss populär sein. Das hat er zwar nie so formuliert, es ergibt sich aber aus dem, was von Stelzer bundesweit wahrnehmbar ist: Erstens, im Landtagswahlkampf vor einem Jahr durfte Corona kein Thema sein. Das Virus hielt sich nicht daran, die Spitäler füllten sich. Zweitens: Stelzer bemühte sich dennoch, Normalität vorzugeben und Beschränkungen zu verhindern. Bis es nicht mehr anders ging, ganz Österreich in einen Lockdown musste – und zwar in Verbindung mit der Ankündigung, die Impfpflicht einzuführen. Verantwortung dafür und alles, was darauf folgte, übernahm der Landeshauptmann keine. Kein Wunder: Es wurde zu einem Problem „des Bundes“, wie man so sagt.
Jetzt hat sich Stelzer daran gemacht, an den Sanktionen gegen Russland zu rütteln. Noch seien Ziele und Kosten, die man zu tragen habe, in einer „guten Balance“. Mit den kälteren Jahreszeiten, wenn alles schwieriger werden könnte, könnte sich das jedoch ändern: Fall es im Herbst zu Energieengpässen kommt, müsse man die Sanktionen überdenken, so Stelzer gegenüber der „Kleinen Zeitung“. Und: „Es sollten bald einmal Fortschritte in Richtung Friedenserreichung gemacht werden.“
Es ist fraglich, ob das zu Wladimir Putin durchgedrungen ist, es dürfte jedoch seinen Vorstellungen entsprechen: Er kann den Angriffskrieg gegen die Ukraine demnach nur gewinnen – weil der Westen irgendwann einknicken und die Ukraine zu einer „Friedenserreichung“ drängen wird; also dazu, einen „Diktatfrieden“ zu akzeptieren.
Unterstellung: Für Stelzer sind das nicht mehr als sogenannte Nebeneffekte. Ihm geht es um die Stimmung im Land. Und die macht es notwendig, dass es bald wieder genug Energie zu erträglichen Preisen gibt. Unfreiwillig stellt sich der Landeshauptmann damit in den Dienst von Putin. Wie es viel deutlicher noch die FPÖ tut. Aber das ist eine andere Geschichte.
Stelzer gehört der Kanzlerpartei ÖVP an. Und in ihr gibt es niemanden, der ihn auch nur in einem vertraulichen Gespräch zurechtweisen könnte. Karl Nehammer mag einem der Klitschkobrüder bei einem Treffen in Berlin kumpelhaft auf die Schulter geklopft und der Ukraine ebenso Solidarität zugesagt haben wie er es später mit weniger Körpereinsatz gegenüber Präsident Wolodymyr Selenskyj getan hat. Das steht jedoch in keinem Vergleich zu seinen Bemühungen, den Menschen zu erklären, warum diese Sanktionen sein sollen. Da ist wenig bis nichts.
In Reaktion auf Stelzer ist der Tageszeitung „Österreich“ zu entnehmen, dass Nehammer die Sanktionen „bisher“ verteidigt habe: Am Samstag hieß es im Kanzleramt, „es war immer unsere Position, dass die Wirksamkeit der Sanktionen von Zeit zu Zeit evaluiert werden muss“. Dabei sei zu überprüfen, „ob die Maßnahmen uns nicht mehr schaden als Russland“, so eine Sprecherin.
Eine Verteidigung der Sanktionen war tags darauf dem Außenministerium vorbehalten. Aber was ist das schon. Hier geht es letzten Endes um Parteipolitik: Unter anderem die ÖVP bemüht sich nicht, Notwendiges, wenn schon nicht populär, dann zumindest nachvollziehbar zu machen. Also ist ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung nicht überzeugt von den Sanktionen. Wenn die Energiepreise weiter steigen, ist sogar eine Mehrheit laut einer „trend“-Umfrage gegen eine Weiterführung. Eine noch immer nicht ganz bedeutungslose ÖVP hat dazu beigetragen, dass sie nun eine Getriebene ist. Stelzer zählt (nach Wirtschaftskammer-Präsident Harald Mahrer) zu den ersten, die darauf reagieren. Sie sagen „nur“, was eine Mehrheit findet. Sie haben mit ihrer Partei schon genug Zuspruch verloren. Nehammer hält weder entschlossen noch persönlich und umgehend dagegen. Wie soll er auch nachholen, was in den vergangen sechs Monaten vernachlässigt oder überhaupt verabsäumt worden ist.