Kurz muss sich bescheiden

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ANALYSE. Pandemie und Trump-Abwahl setzen dem Hochmut des Kanzlers auf internationaler Bühne ein abruptes Ende.  

Vielleicht steht der Besuch von Bundeskanzler Sebastian Kurz bei Frankreichs Präsident Emmanuel Macron ja auch für einen Neubeginn: „Vergessen wir, was war“, könnte Kurz demnach sagen und damit ganz besonders auch sein Verhalten auf dem EU-Gipfel vom Sommer meinen. Im Glauben, dass Österreich gut durch die Coronakrise gekommen sei, legte er sich damals medienöffentlich gegen Hilfszahlungen für südeuropäische Länder quer, die seinen Angaben zufolge in ihren Systemen kaputt sind. Als Kurz zu entscheidender Stunde für ein Telefonat den Sitzungssaal verließ, platzte Marcon laut „Politico“ der Kragen: „Seht ihr?“, habe der Franzose geschäumt: „Es ist ihm egal. Er hört den anderen nicht zu, hat eine schlechte Haltung. Er kümmert sich um seine Presse und basta.“

Jetzt aber braucht Kurz Macron: Der Franzose ist immer wieder mit islamistischen Anschlägen konfrontiert; er kommt am ehesten für eine Allianz dagegen in Frage. Und eine solche Allianz braucht Kurz auch von daher dringend, um ein neues Thema in eigener Sache forcieren zu können.

Die Flüchtlingspolitik hat der Kanzler vorerst überstrapaziert. Einerseits kommen relativ wenige Menschen nach Europa. Andererseits hat er mit seiner Haltung gegenüber Menschen auf Moria sogar die „Kronen Zeitung“ gegen sich aufgebracht.

Schlimmer noch aber ist die Pandemie: Von wegen „Wir sind gut durch die Krise gekommen“. Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder hat vor einer Woche in der ARD-Sendung „Anne Will“ etwas gemacht, was vor einem Jahr noch undenkbar gewesen wäre; er hat sich von Kurz distanziert: Bei der ersten Welle habe man ja noch etwas lernen können von dem Österreich, aktuell aber gehe das nicht mehr. Kurz hat die Infektionszahlen laut Söder zu stark steigen lassen; jetzt hat er ein Problem.

Ob man diese Kritik teilt oder nicht, ist nebensächlich; entscheidend ist, dass der Kanzler von maßgeblichen Leuten in Deutschland zum Superstar a.D. erklärt wird. Und dass in dieser Krise ausgerechnet die Frau dabei ist, zu gewinnen, die Kurz in Folge der Flüchtlingskrise despektierlich behandelt hat: seine deutsche Amtskollegin Angela Merkel. Deutschlands Wirtschaft wird heuer wohl etwas weniger stark einbrechen; und wenn es mit dem Infektionsgeschehen so weitergeht, wird es den Lockdown viel eher beenden können als Österreich.

Nicht einmal Donald Trump ist Sebastian Kurz geblieben: Ein zweiter Besuch beim US-Präsidenten war im Frühjahr schon geplant. Dann kam die Pandemie und jetzt die Wahl von Joe Biden dazwischen. Das wird nicht’s mehr. Und das wird noch größere Folgen haben: Trump setzte auf Kurz, weil er einer der wenigen Europäer war, die seine Nähe durchaus suchten und die ebenfalls gegen Migration mobilisierten; ja, auch in der Nahostpolitik gab es Übereinstimmungen. Kurz durfte im Gegenzug 2019 ins Oval Office – im Scheinwerferlicht der Medien und „als erster österreichischer Regierungschef seit 13 Jahren“, wie das Kanzleramt stolz berichtete. Sprich: Er hatte von der Beziehung, was ihm wichtig ist. Das wird’s unter Joe Biden, dem 46. Präsidenten der USA, wohl nicht mehr so einfach geben.

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