ANALYSE. Der Bundespräsident hat noch nicht angekündigt, sich im Herbst einer Wiederwahl zu stellen. Kein Wunder: Es ist außergewöhnlich schwer, den richtigen Zeitpunkt dafür zu finden.
Die Tageszeitung „Österreich“ kann es kaum erwarten: Nicht nur einmal hat sie schon berichtet, Alexander Van der Bellen werde bei der Bundespräsidenten-Wahl im Herbst wieder antreten. Entscheidendes lässt jedoch auf sich warten, nämlich eine Bestätigung des 78-Jährigen.
In gewöhnlichen Zeiten hätte er sich vielleicht schon geäußert zur Sache. Und zumal ohnehin fast alle davon ausgehen, dass er sich trotz aller Mühen, die damit verbunden sind, für weitere sechs Jahre zur Verfügung stellen wird, mag es überraschen, dass er es noch nicht getan hat.
Es sorgt im Übrigen auch für eine gewisse Unsicherheit. Eine kleine zwar, aber doch eine: Man kann nicht zu 100 Prozent ausschließen, dass Van der Bellen aus irgendwelchen Gründen absagt. Selbst wenn die Wahrscheinlichkeit verschwindend klein erscheint, zwingt es Parteien wie ÖVP und SPÖ, sich zu überlegen, was sie im Falle des Falles tun würden. Wie schlecht das ausgehen könnte, weiß die Volkspartei zu gut: 2015/16 musste ihr damaliger Obmann Reinhold Mitterlehner nach einer „Last Minute“-Absage von Erwin Pröll einen Notkandidaten aus dem Hut zaubern; es handelte sich um Andreas Kohl, den Mann für fast alles in der ÖVP. Im ersten Wahlgang kam er – knapp hinter Rudolf Hundstorfer (SPÖ) – auf Platz fünf.
Die Schwierigkeit für Van der Bellen ist folgende: Sobald er seine Wiederkandidatur bekannt gibt, ist er nicht nur Bundespräsident, sondern auch Wahlkämpfer. Ob er will oder nicht. Aus heutiger Sicht würde er jedenfalls von den Freiheitlichen, sehr wahrscheinlich aber auch von MFG zu einem solchem gemacht werden. Jedes Wort von ihm würde zumindest von Herbert Kickl und Co. entsprechend ausgelegt werden. Das ist gerade in Zweiten wie diesen, in denen die Polarisierung ohnehin schon groß ist, nicht vernachlässigbar.
Noch nie ist ein Bundespräsident so sehr gefordert worden wie Alexander Van der Bellen in seiner bisherigen Amtszeit: Misstrauensvotum gegen das gesamte Kabinett Sebastian Kurz I infolge der Ibiza-Affäre bzw. dem Ende der türkis-blauen Koalition, Übergangsregierung, Coronakrise, Korruptionsaffären um Kurz und schließlich Rücktritt desselben.
Das Problem ist, dass auch in den kommenden Monaten mit keiner Rückkehr zu „normalen“ Verhältnissen zu rechnen ist: Es bleibt turbulent. Erstens, Österreich tut sich aufgrund der Impfpflicht besonders schwer, aus der Pandemie zu kommen. Was sich abzeichnet, ist keine Lösung, die ein Bundespräsident unkommentiert lassen sollte: Dass aufgrund größerer Widerstände aus Teilen der Bevölkerung einfach nicht ernst gemacht wird mit der Pflicht. Damit würde sich der Staat lächerlich machen. Das ist kein Spaß. Vor allem, wenn derlei Schule macht. Wenn, dann gehört das Impfpflichtgesetz durch einen eigenen Beschluss wieder außer Kraft gesetzt. (Und beim nächsten Mal von vornherein genauer überlegt, worauf man sich einlässt.)
Zweitens: Auf Dauer kaum schweigen kann Van der Bellen auch zum Postenschacher, der in diversen Chats dokumentiert ist und der mutmaßlich von führenden Repräsentanten der größeren Regierungspartei (ÖVP) exzessiv praktiziert worden ist. Das ist Machtmissbrauch. Funktionen, mit denen Verpflichtungen gegenüber allen Bürgerinnen und Bürgern gleichermaßen einhergehen, sind hier ganz offensichtlich nach Gutsherrenart im „Familienkreis“ vergeben worden; als hätte es sich um Privateigentum gehandelt.
Drittens: Aufgrund diverser Dynamiken kann man nicht ausschließen, dass es noch vor einer Bundespräsidenten-Wahl im Spätherbst zu einer vorgezogenen Nationalratswahl kommt. Insbesondere eine Regierungsbildung, die auf eine solche folgen würde, würde auch das Geschick des Staatsoberhauptes notwendig machen. Gerade weil es mit den Mehrheitsverhältnissen schwierig werden könnte, wenn sich keine Zwei-Parteien-Konstellationen ausgehend sollte sowie FPÖ und MFG zusammen an die 30 Prozent kommen könnten.
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