ANALYSE. Auch eine Abstimmung darüber, ob Alexander Van der Bellen Bundespräsident bleiben soll, hätte mehr Aufmerksamkeit verdient. Das rächt sich: Erste Stimmen fordern eine Abschaffung der Direktwahl.
Geht man so mit einer Wahl um? Nein: Österreich erlebt am 9. Oktober eher eine Abstimmung darüber, ob Alexander Van der Bellen Bundespräsident bleiben soll. Selbst das hätte jedoch mehr Aufmerksamkeit verdient. Und zwar unabhängig davon, wie man zum Kandidaten steht.
Van der Bellen selbst hat so gut wie keinen Wahlkampf geführt. Wozu auch? Man kenne ihn, ließ er nach sechsjähriger Amtszeit wissen, in der er ja wirklich mit (schier) unvorstellbaren Dingen konfrontiert war. Um das zu verdeutlichen, wurde Immer wieder eine Karikatur hervorgekramt, die ihn ganz zu Beginn in der Hofburg zeigte; und zwar darüber sinnierend, wie er sich jetzt beschäftigen könnte.
Selbstbeschäftigung war nicht nötig: Die Nationalratswahl 2017 führte ebenso zu einem Regierungswechsel wie (zumindest teilweise) jene zwei Jahre später. 2019 wurde erstmals in der Geschichte der Zweiten Republik ein Expertenkabinett nötig. (Ex-)Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) musste wiederum gezwungen werden, einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss Akten zu liefern und so weiter und so fort. Bei alledem haben sich die Wähler durchaus ein Bild davon machen können, was Alexander Bellen kann.
Mit Blick auf weitere sechs Jahre hätte es aber noch Bedarf für eingehendere Auseinandersetzungen mit ihm gegeben: Kann man so einfach sagen, dass man sich in Waldimir Putin getäuscht hat in den vergangenen Jahren? Dass man sich aus heutiger Sicht bei Gaslieferungen nicht so abhängig gemacht hätte von Russland? Dass Österreich irgendwie neutral, in Wirklichkeit aber NATO-Trittbrettfahrer bleiben soll? Muss man die Beziehung zwischen Staat und Bürgern neu denken, was etwa Ansprüche und Möglichkeiten betrifft? Oder, noch einmal rückblickend: Warum hat Van der Bellen blaue Korruptionsaffären immer wieder deutlicher angesprochen als türkise?
Dass es derartige Auseinandersetzungen kaum bis gar nicht gegeben hat vor dem ersten Wahldurchgang, hat auch damit zu tun, dass eine Mehrheit im politischen Betrieb froh ist und hofft, dass Van der Bellen weiterhin Bundespräsident ist. Dafür gibt es Argumente. Bloß: Nicht alle, die sie haben, deklarieren sich offen oder engagieren sich entsprechend. Der Kanzler und ÖVP-Chef wünscht Van der Bellen „alles Gute“, sieht jedoch von einem Wahlaufruf ab. Finanziell wird die Van der Bellen-Kampagne überhaupt nur von den Grünen unterstützt; sie sind die einzige Partei, die das tun.
Dass das keine – im besten Sinne des Wortes – gepflegte Wahl ist bzw. unbefriedigende Verhältnisse sind, merkt man auch daran, dass erste Stimmen für eine Reform laut werden. Man solle es bei einer einzigen, aber etwas längeren Amtszeit belassen. Oder das Staatsoberhaupt überhaupt nicht mehr direkt, sondern durch die Bundesversammlung (Nationalrat plus Bundesrat) wählen lassen. Das hat man davon: Beschnitten werden würden Mitentscheidungsmöglichkeiten durch die Bürger. Sie könnten weniger oft (z.B. nur alle acht Jahre) einen Bundespräsidenten wählen oder eben gar nicht mehr.