Van der Bellen muss gefordert werden

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ANALYSE. Eine Wiederwahl scheint dem Bundespräsidenten sicher. Zu einfach sollte man es ihm jedoch nicht machen. Beispiel Neutralitätspolitik. Weiß man, wie er sich das konkret vorstellt? Eben.

Stimmen, wonach das Amt des Bundespräsidenten verzichtbar wäre, sind verstummt. Das hat auch damit zu tun, wie es von Alexander Van der Bellen ausgefüllt wird. Er hat sehr viel daraus gemacht. Wobei man sich immer wieder in Erinnerung rufen muss, wie wenig Macht ein Bundespräsident hat: Er allein kann sich eine Regierung vielleicht wünschen, ganz sicher aber keine solche nach eigenen Vorstellungen zusammenstellen; es ist ihm allenfalls möglich, einzelne Ministerkandidaten (wie 2017 die Freiheitlichen Harald Vilimsky und Johann Gudenus) abzulehnen. Er kann auch erklären, welche Herausforderungen er sieht, die Umsetzung muss er jedoch anderen überlassen; und wenn sie Prioritäten setzen, die von seinen abweichen, kann er eher nur mahnende Worte sprechen.

Thomas Klestil hat die Grenzen seiner Macht 2000 nicht wahrhaben wollen; das Ergebnis ist bekannt. Van der Bellen weiß um die Grenzen bescheid. 2017 hat er sich daher nicht gegen eine türkis-blaue Koalition gestellt. Hätte er es getan, wäre er durch ÖVP und FPÖ – wie einst Klestil – vor vollendete Tatsachen gestellt worden auf Basis der parlamentarischen Mehrheit, über die sie verfügt haben. Das ist der springende Punkt: Ein Bundespräsident muss sich mit diesen Mehrheitsverhältnissen arrangieren. In wenigen Bereichen wird so deutlich, dass Politik eine Kunst sein kann, wie hier.

Beherrscht Van der Bellen sie? Er hat immer wieder den richtigen Ton gefunden. Unter Türkis-Blau hat er zum Ausdruck gebracht, dass nicht seine Flüchtlingspolitik gemacht wird. Beim zweiten Lockdown hat er die türkis-grüne Regierung gedrängt, zur Vermeidung eines weiteren Lockdowns endlich ein ordentliches Contact-Tracing aufzustellen und andere Versäumnisse wettzumachen. Zu türkisen Korruptionsaffären ist er mehrfach deutlich geworden und letztlich hat er sich sogar für das Verhalten von Sebastian Kurz und Co. bei den Menschen in Österreich entschuldigt – und zwar so unmissverständlich, wie es kein Türkiser zusammengebracht hat.

Gegner der Impfpflicht werfen ihm vor, sich nicht gegen ihre Einführung gestellt zu haben. Den einzigen Vorwurf, den man ihm in diesem Zusammenhang machen könnte, ist, dass er die Pflicht nicht kritisch kommentiert hat. Weil er nur das verfassungskonforme Zustandekommen von Gesetzen betätigen darf, hätte er aber nicht viel mehr tun dürfen, er hätte das entsprechende Gesetz jedenfalls nicht blockieren dürfen.

Zu sagen würde es unendlich viel geben für einen Bundespräsidenten: Er könnte jeden Tag darauf hinweisen, dass es im Sinne der Demokratiepflege endlich dazu kommen müsste, das Amtsgeheimnis abzuschaffen und Informationsfreiheit einzuführen. Oder für eine transparente Parteienfinanzierung zu sorgen. Oder sich mehr Gedanken darüber zu machen, wie gesellschaftliche Spaltungen vermieden und allenfalls überwunden werden könnten. Allein: Redet ein Staatsoberhaupt zu viel, wird er irgendwann gar nicht mehr gehört. Er muss sparsam sein mit seinen Worten.

Ebensolche erscheinen jedoch gerade jetzt besonders wichtig. Und von Van der Bellen ist wenig bis nichts zu hören zu Energieversorgungssicherheit, Teuerung oder Sicherheitspolitik, obwohl damit sehr viel Grundsätzliches einhergeht. Hier wären denn auch entsprechende Aussagen von Van der Bellen gefragt.

Nehmen wir das Beispiel Sicherheitspolitik, weil der Bundespräsident ja auch Oberbefehlshaber des Bundesheeres ist: Regierung, aber auch Teile der Opposition belassen es bei der Ansage, dass über die Neutralität nicht diskutiert werden dürfe und mehr Geld ins Heer investiert werden müsse. Das ist zu wenig. Wenn schon, dann ist eine Debatte darüber nötig, wo überhaupt noch Neutralität gelebt werden könnte. Zumal sich Österreich indirekt, aber doch, an Militärhilfe für die Ukraine beteiligt, NATO-Überflüge für Waffenlieferungen duldet etc. Da grenzt es an eine Unverschämtheit, zu sagen, man sei neutral und basta. Man ist es nur noch in kleinen Teilen. Wenn überhaupt. Außerdem: Wenn man am Ende des Tages zum Schluss kommt, dass die Neutralität trotz allem das Beste ist, stellt sich die Frage, wie das Bundesheer gestärkt werden soll. Das schreit nach Debatten. Hier geht es um sehr viel (bei weitem nicht nur Steuergeld).

Hier ist auch der Bundespräsident gefordert. Immerhin steht eine immerwährende Neutralität in der Verfassung, die durch Realpolitik aber zu einer bloßen Worthülse verkommen ist. Umso mehr sollte Van der Bellen, der sich für eine zweite Amtszeit bewirbt, gefordert werden, klarzustellen, wie er sich das vorstellt.

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