It’s the economy, stupid!

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ANALYSE. Viel mehr als Integration und Gesundheit könnten Wirtschaft und existenzielle Sorgen die Wien-Wahl im Oktober entscheiden. Die Lage in der Stadt ist extrem angespannt.

Wie schnell sich die politische Themenlage ändern kann, musste der damalige US-Präsident Georg Busch (senior) vor bald 30 Jahren erfahren: Der Irak-Krieg hatte ihm zuvor schier uneingeschränkte Zustimmung beschert. Sein Herausforderer bei der Wahl 1992, Bill Clinton, schien aussichtslos zu sein. Clinton setzte jedoch nicht auf Militärisches, sondern auf Wirtschaft. Sie werde entscheidend sein, ahnte er und wurde bestätigt bzw. zum 42. Präsidenten des USA gekürt: „It’s the economy, stupid!“, lautete seine Devise.

Natürlich: Geschichte wiederholt sich nicht. Und in Österreich im Allgemeinen und in Wien im Besonderen ist Überhaupt alles ein bisschen anders. Dennoch ist wohl auch hier eine radikale Änderung der Themenlage im Gange: In den vergangenen Jahren standen Urnengänge allein „im Schatten der Flüchtlingskrise“ (Fritz Plasser).

Zunächst war die FPÖ mit ihren Antworten drauf und dran, Nummer eins zu werden: 2015 legte sie bei sämtlichen Landtagswahlen groß zu, darunter auch in Wien. In weiterer Folge lag sie in bundesweiten Umfragen vorne, ja, der heutige Parteichef Norbert Hofer wäre um ein Haar sogar zum Bundespräsidenten gekürt worden. Doch dann kam Sebastian Kurz, orientierte sich inhaltlich an den Freiheitlichen – mit dem Unterschied, dass er mit Slogans wie „Balkanroute schließen“ wirkungsvoller war. Das Ergebnis ist bekannt, Kurz triumphierte mit einer Bewegung namens „Neue Volkspartei“ bei der Nationalratswahl 2017 und ist heute sogar noch stärker als damals.

Kurz‘ Statthalter für die Wiener Gemeinderatswahl, Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP), versucht das Erfolgsmodell mit Hilfe von Innenminister Karl Nehammer und Integrationsministerin Susanne Raab fortzusetzen. Ausschreitungen in Favoriten bzw. Angriffe türkischer Rechtsextremer auf eine kurdische Kundgebung wollten sie denn auch nicht ungenützt lassen. Freiheitlichen Wählern, die aufgrund der Krise der Partei zu holen sind, mag das gefallen. Allein: Ob das das große Thema ist, ist zu bezweifeln.

2020 steht im Schatten der Coronakrise und sie wiederum ist vor allem in Wien (aus heutiger Sicht) eher eine Wirtschafts- als eine Gesundheitskrise. Auch in der Bundeshauptstadt hat die Arbeitslosigkeit einen Rekordwert erreicht; nur dass die Quote hier nicht z.B. acht Prozent wie in Tirol beträgt, sondern 16,3 Prozent. Und dass es einzelne Gruppen und Bezirke gibt, in denen sie noch viel, viel größer ist: In der Brigittenau ist jeder Vierte ohne Job, unter Personen, die über die Pflichtschule nicht hausgekommen sind, fast jeder Zweite. Und überhaupt: Freie Stellen gibt es kaum. Auf 19 Arbeitslose kommt im Moment exakt eine.

Doch das ist nur der sichtbare Teil der Krise: Dazu kommen die Vielen, die gar nicht beim AMS gemeldet sind, Hoffnungen auf eine Arbeit in Zeiten wie diesen aber wohl oder übel begraben haben; sowie die Unternehmer und die Selbstständigen, die, wenn überhaupt, viel weniger Aufträge haben als vor einem Jahr.

Diese Wirtschaftskrise hat etwas Existenzielles und sie ist damit für die Betroffenen viel unmittelbarerer als es Bericht über große, aber bekannte Integrationskonflikte sein können. Sie bewegt fast alle. Das wird an der Entwicklung des Wirtschaftsbarometers deutlich, den das Linzer Marktforschungsinstitut Spectra führt. Drei Dinge fallen hier auf: Erstens, gegenüber dem Vorjahr ist der Anteil der Österreicher, die meinen, dass es in absehbarer Zeit eher aufwärts gehen werde, von 23 auf 17 Prozent gesunken; zweitens, der Anteil derer, die erwarten, dass es abwärts geht, ist von 18 auf 55 Prozent gestiegen; drittens, die Summe derer, die entweder das eine oder das andere angeben, hat sich auf 72 Prozent beinahe verdoppelt – was zeigt, dass die wirtschaftliche Zukunft mehr denn je bewegt.

Freilich: Das tangiert nicht nur die ÖVP. Sondern auch Rote, Blaue, Grüne und Pinke. Sie alle müssen ihre Programmschwerpunkte mehr oder weniger stark verlagern. Klimaschutz etwa wird vielen weiter ein großes Anliegen sein, in der Not aber hinter persönlichen Sorgen stehen.

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