ANALYSE. Von Tirol bis Wien: Grüne Politiker hätten allen Grund, selbstbewusst aufzutreten. Sie tun jedoch das glatte Gegenteil davon.
Wiens Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) könnte es sich sehr einfach machen mit der Partnerentscheidung nach der Gemeinderatswahl vom vergangenen Sonntag: Ein Telefonat mit (Noch-)Vizebürgermeisterin Birgit Hebein (Grüne) – und weiter geht’s. Ruckzuck, fertig.
Schon allein aus demokratiepolitischer Sicht wäre jedenfalls zu befürchten, dass die Grünen nicht pokern würden: Ihr Klubobmann David Ellensohn hat ja schon am Wahlabend, noch ehe eine Stimme ausgezählt, geschweige denn die erste Hochrechnung präsentiert war, allein auf Basis einer Trendumfrage von der Bestätigung für und der Fortsetzung der rot-grünen Koalition im Wiener Rathaus gesprochen.
Hebein selbst hatte schon früher, bei der „Elefantenrunde“ des ORF, signalisiert, dass sich die Grünen um fast jeden Preis hergeben. Bei der Gelegenheit habe sie eine „Koalitionsbedingung“ gegenüber Ludwig platziert, wie „Der Standard“ fast schon süffisant festhielt: „die Einführung des verpflichtenden Abbiegeassistenten für Lkw“.
Wenn’s sonst nichts ist? Vor langer Zeit haben sich die Grünen wegen einer Untertunnelung der Lobau quergelegt. Das waren noch Anliegen. Doch heute lassen sie sich demütigen, indem sie beispielsweise nicht weiter dagegen protestieren, dass ihnen Michael Ludwig ein zentrales Wahlkrampfprojekt, die „autofreie“ City, wenige Tage vor dem Urnengang abgedreht hat. Motto: War halt so. Schade.
Die Grünen müssten nicht so selbstlos sein. Im Gegenteil: Gerda auch das Gemeinderatswahlergebnis könnte ihnen zeigen, dass sie allen Grund hätten, selbstbewusst aufzutreten. In zahlreichen Bezirken entlang des Gürtels beispielsweise haben die Sozialdemokraten deutlich verloren und sie selbst ebenso stark gewonnen. Hier sind sie fast schon auf Augenhöhe mit der SPÖ (auf Bezirksvertretungsebene zum Teil sogar darüber).
Und wenn sie das Wahlergebnis nicht ernst nehmen, dann könnten sie Ex-Bürgermeister Michael Häupl (SPÖ) wahrnehmen: Er mag zwar die eine oder andere Rechnung mit Ludwig offen haben, dass er aber seine pensionsbedingte Zurückhaltung aufgibt und im Ö1-Morgenjournal eine Koalition mit den Neos bzw. „Sozialistenfressern“ ablehnt, ist ein Signal. Innerhalb der Sozialdemokratie gibt es offenbar nicht Wenige, die für eine Fortsetzung von Rot-Grün einiges geben würden.
Die Wiener Grünen sind jedoch nicht allein mit dieser Art Selbstaufgabe. Die Tiroler halten es nicht anders: Für den dortigen Landeshauptmann Günther Platter (ÖVP) oder viel mehr noch „Alles richtig gemacht“- Gesundheitslandesrat Bernhard Tilg (ÖVP) hat Ischgl auch keine weiteren Konsequenzen, weil sie von ihrem Koalitionspartner, den Grünen, getragen werden.
Natürlich: Die Grünen sind hier in einer nicht ganz einfachen Lage. Aber muss ihre LH-Stellvertreterin Ingrid Felipe so weit gehen, das schwarze Wording zu übernehmen, gegenüber Opfern nur ein Bedauern zum Ausdruck zu bringen und im Übrigen lediglich von Strukturproblemen zu sprechen? Wohl kaum.
Die Grüne stellen sich hier nicht zuletzt auch in den Dienst eine Massentourismuslobby, zu deren Gunsten bis zum Umfallen geleugnet und vertuscht wird; beziehungsweise einer ÖVP, für die es undenkbar ist, Verantwortung zu übernehmen und personelle Konsequenzen zu ziehen.
Wie in Wien könnten die Grünen in Tirol selbstbewusster auftreten. Im bevölkerungsreichen Großraum Innsbruck haben sie extrem großes Potenzial. Was heißt Potenzial? In der Landeshauptstadt haben sie es insofern schon ausgeschöpft, als sie mit Georg Willi den Bürgermeister stellen. Hier hätte die ÖVP Respekt zu haben.
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