ANALYSEN. In Österreich wird an autoritären Verhältnissen gearbeitet. Der Bundespräsident schweigt. „Laufende Verfahren“ sind keine Erklärung dafür.
Natürlich hat’s Bundespräsident Alexander Van der Bellen schwer, den 2.473.892 Stimmen gerecht zu werden, die ihm sein Amt vor etwas mehr als vier Jahren beschert haben. Das waren zwar deutlich mehr als die neue ÖVP von Sebastian Kurz bei der jüngsten Nationalratswahl erhielt (1.789.417), die Macht des Staatsoberhaupts ist jedoch beschränkt: Bei allem, was Van der Bellen sagt, muss er immer auch bedenken, dass er im Falle des Falles so gut wie nichts durchsetzen kann. Anders ausgedrückt: Wenn er zehn Mal etwas fordert, das von denen, die dafür zuständig sind, aber nicht einmal ignoriert wird, könnte er ein Autoritätsproblem bekommen.
Das Jahr 2021 ist mit einer ÖVP-Affären-Serie losgegangen. Van der Bellen hielt sich mit der Begründung zurück, sich nicht in laufende Verfahren einmischen zu wollen. Erst relativ spät stellte er sich einerseits schützend vor die Justiz und mahnte andererseits ein, die Unschuldsvermutung ernst zu nehmen.
Das war’s. Und das ist viel zu wenig. Hier geht es längst nicht mehr bloß um laufende Verfahren, hier ist längst eine Entwicklung hin zu sehr autoritären Verhältnissen im Gang. Entsprechend stark wäre der Bundespräsident gefordert, zumindest demokratische Selbstverständlichkeiten und rote Linien herauszuarbeiten.
Nach der Justiz nimmt die ÖVP mehr und mehr kritische Medien ins Visier. Sebastian Kurz wird vorgeworfen, Methoden von Trump und Orban anzuwenden. Anlass: Vergangenen Freitag hat er (bzw. ließ er unter seinem Namen) auf Twitter einen Bericht eines parteieigenen Mediums verbreiten, der „Falter“-Chefredakteur Florian Klenk nicht nur bildlich böswillige, haltlose Oppositionspolitik unterstellte.
Vorwürfe von #SPÖ und #NEOS gegen die Regierungsparteien haben sich als haltlos erwiesen! Ist das der Grund, warum die kritischen Fragen nun wegfallen oder steckt womöglich mehr dahinter?
Finde es heraus: https://t.co/YZLfWwtOQV
— zur-Sache.at (@ZurSache_at) April 9, 2021
Das war auch eine Warnung für eine breitere, kritische Öffentlichkeit: Wer nicht für uns ist, den machen wir öffentlich nieder; dank weltmeisterlicher Parteienförderung sowie unserer Regierungsfunktionen haben wir alle Möglichkeiten dazu. Sebastian Kurz muss nur eine Pressekonferenz ansetzen; schon wird sie in der Regel live übertragen – und er kann ungefiltert sagen, was er möchte. Das ist umso schwerwiegender, als Qualitätsjournalismus daneben ausgehungert wird; siehe bevorzugte Inseratenvergabe an den Boulevard, siehe stiller Tod der „Wiener Zeitung“, mit dem man rechnen muss. Ober eben die Angriffe auf den „Falter“.
Der Bundespräsident wäre es nicht nur seinen Wählerinnen und Wähler, sondern auch der Verfassung schuldig, zumindest zu betonen, was sein sollte. Artikel 1, erster Satz: „Österreich ist eine demokratische Republik.“ Eine Orbanisiserung verstößt dagegen.
Was Van der Bellen zuzugestehen ist, ist, dass er Auszüge aus den Chat-Protokollen nicht direkt kommentiert. Was er jedoch könnte, ja müsste, sind deutliche Botschaften zu ersten Konsequenzen, die sich unabhängig vom rechtlichen Ausgang diverser Affären anbahnen. Beispiel eins: Ein klares Wort zur Transparenz. Es ist zu befürchten, dass der vorliegende Begutachtungsentwurf nichts Wesentliches ändert. Aus Amtsgeheimnis mit Ausnahmen könnte Informationsfreiheit mit sehr weitreichenden Beschränkungen werden. Erste Stellungnahmen, etwa niederösterreichischer Gemeindebediensteter, zeigen im Übrigen, dass selbst das beharrenden Kräften zu viel Licht ist. Schlimmer: Zu verdunkelter Parteienfinanzierung liegt überhaupt nichts vor, nicht einmal ein Begutachtungsentwurf
Eine andere Konsequenz ist die geplante StPO-Reform: Vor allem dem Verfassungsexperten Heinz Mayer und seinen unmissverständlichen Hinweisen ist es zu verdanken, dass öffentlich erst klar geworden ist, dass hier de facto Korruptionsbekämpfung im öffentlichen Bereich schwer bis unmöglich gemacht werden sollte. Aus den Reihen der Regierung kam kein Hinweis darauf, Grünen-Klubobfrau Sigrid Maurer beschwichtigte. Justizminister Alma Zadic (Grüne) kündigte schließlich an, Fachleute beizuziehen. Demnach könnte es zu Entschärfungen kommen. Aber was weiß man schon.
So etwas darf auch ein Bundespräsident mit beschränkten Möglichkeiten nicht unkommentiert lassen. Er hat zumindest festzustellen, dass Sümpfe und saure Wiesen trockenzulegen sind; und welche Maßstäbe dabei zu gelten haben. Dann würde es wenigstens einen Bezugsrahmen für das geben, was die neue ÖVP von Sebastian Kurz mit Duldung der Grünen noch liefert oder auch unterlässt.
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