Vom Rand des demokratischen Modells

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ANALYSE. Eine Art Blaupause für die österreichische Krisenbewältigung sieht letzten Endes auch verpflichtende Überwachungs-Apps vor.

Die Aufregung ist groß. Antonella Mei-Pochtler, Beraterin von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) geht davon aus, dass Überwachungs-Apps zur COVID-19-Bekämpfung nicht Ausnahme, sondern die Regel werden: „Das wird Teil der neuen Normalität sein. Jeder wird eine App haben“, sagte sie laut ORF.AT der „Financial Times“. Ja, die europäischen Länder müssten sich an Tools gewöhnen, die „am Rand des demokratischen Modells“ seien.

Also doch verpflichtende Apps? Sebastian Kurz wollte sich gestern nicht dazu äußern, grüne Regierungsvertreter beteuerten, dass es bei der zugesagten Freiwilligkeit bleiben werde – und die Opposition schäumt, weil sie das jetzt erst recht bezweifelt.

In Wirklichkeit müssen wir davon ausgehen, dass jede Staatsbürgerin, jeder Staatsbürger letzten Endes eine App auf seinem Smartphone, einer Uhr oder einer Art digitalem Schlüsselanhänger haben muss – und so versucht wird, die Pandemie flächendeckend unter Kontrolle zu halten.

Das ist keine Phantasie, sondern lässt sich aus seinem Papier ableiten, dass das deutsche Bundesinnenministerium im März erstellt und mittlerweile auch auf seiner Website veröffentlicht hat. „Was hat das mit uns zu tun?“, könnte man jetzt einwenden. Die Antwort lautet: Sehr viel.

Die Unterlage wirkt wie die Blaupause für die österreichische Krisenbewältigung. Da ist alles drinnen. Sogar die 100.000 Toten, von denen Kurz im Rahmen eines Worst-Case-Szenario gesprochen hat, finden sich indirekt: „In diesem Szenario wäre mit mehr als einer Million Todesfällen zu rechnen“, heißt es in dem Papier in Bezug auf das zehn Mal größere Deutschland wörtlich. Kurz selbst hat bis heute keine konkrete Quelle für seine Angaben benannt.

Auch die Angstmache als Teil der Regierungsstrategie kann nach Lektüre der 17 Seiten nur noch schwer als österreichische Erfindung bezeichnet werden. Weil die Lage so ernst sei, muss laut deutschen Innenministerium eine „Schockwirkung“ erzielt werden bei der Bevölkerung: Die konkreten Auswirkungen einer Durchseuchung auf die menschliche Gesellschaft müssten verdeutlicht werden. Beispiel: „Viele Schwerkranke werden von ihren Angehörigen ins Krankenhaus gebracht, aber abgewiesen, und sterben qualvoll um Luft ringend zu Hause. Das Ersticken oder nicht genug Luft kriegen ist für jeden Menschen eine Urangst. Die Situation, in der man nichts tun kann, um in Lebensgefahr schwebenden Angehörigen zu helfen, ebenfalls. Die Bilder aus Italien sind verstörend.“

Selbst eine Steuerentlastung, wie sie Kanzler Kurz und sein grüner Vize Werner Kogler gerade erst angekündigt haben, ist in dem Szenarienpapier mit dem Titel „Wie wir Covid-19 unter Kontrolle halten“ vorgesehen. Wobei man jetzt natürlich einwenden kann, dass das naheliegend ist. Wie auch immer: Berlin hat auf seiner Liste neben der Kurzarbeit, Liquiditätshilfen für Unternehmen, direkten Transfers und Staatsbeteiligungen eben auch „steuerliche Entlastungen, um massive Verluste durch die wirtschaftliche Krise zu begrenzen. Hier liegen Chancen für einen positiven Impuls aus der Krise heraus, der auch als Startschuss für einen erneuten Aufschwung gesehen werden kann“, wie es zur Begründung heißt.

Doch zurück zur Gesundheitskrise: „Das massive Testen muss durch eine effiziente Kontaktsuche von positiv getesteten Personen unterstützt werden“, heißt es im Papier des deutschen Bundesinnenministeriums. Und: „Um das Testen schneller und effizienter zu machen, ist längerfristig der Einsatz von Big Data und Location Tracking unumgänglich.“

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