ANALYSE. Die ÖVP hat nicht zu klagen. Sie hat sich viele Probleme, die ihr nun zu schaffen machen, selbst eingebrockt.
Plötzlich spricht sich die ÖVP für einen unabhängigen Bundesstaatsanwalt aus, wie Klubobmann August Wöginger hier bestätigt. Bisher ist ein solcher eher nur an ihr gescheitert. SPÖ, Grüne und Neos wären jedenfalls schon lange dafür zu haben. Die Kursänderung hat jedoch einen Beigeschmack: Sie steht natürlich im Zusammenhang mit der Vorgehensweise der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) gegen Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP). Sie, der Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) hier schon einmal unterstellte, ein Netzwerk roter Staatsanwälte zu sein, das gezielt gegen türkise Politiker vorgehe, ist über Blümel nun auch Kurz sehr nahe gekommen. Da ist jedes Mittel recht, um dagegen vorzugehen.
In diesem Text geht es nicht um die Causa Blümel-Novomatic, sondern um ein paar Begleitumstände. Behauptung: Die junge neue ÖVP hat sich selbst in extrem große Schwierigkeiten gebracht. Sie antwortet nun brachial – und diskreditiert sich damit nur noch mehr.
Was ihre Finanzen betrifft, hat die Volkspartei wenig bis nichts getan, um die Glaubwürdigkeit zu erlangen, die Sebastian Kurz zu seinem Amtsantritt vor bald vier Jahren vorgegeben hat. Dass sie keine gesetzlichen Bestimmungen für gläserne, transparente Kassen zusammengebracht hat, könnte man noch damit erklären, dass sie dafür ja auch die Unterstützung anderer Parteien gebraucht hätte; und dass sie mit den Grünen, mit denen sie das jetzt aber wirklich angehen könnte, seit geraumer Zeit andere Sorgen hat (Pandemie).
Verhängnisvoller für die ÖVP sind Geschichten wie diese: Gut zwei Wochen vor der Nationalratswahl 2017 erklärte die damalige Generalsekretärin Elisabeth Köstinger, dass man plane, die Wahlkampfkosten-Begrenzung von sieben Millionen Euro einzuhalten. Hinterher wurde bekannt, dass die Türkisen rund 13 Millionen Euro ausgegeben haben. Gut zweimal mehr also. Auch erst später, nämlich vor der Nationalratswahl 2019, legte der damalige Generalsekretär Karl Nehammer eine umfassende Spender- bzw. Spendenliste vor, wobei sich herausstellte, dass die Verpflichtung, Beträge ab 50.000 Euro unverzüglich offenzulegen, damit umgangen wurde, dass Stückelungen vorgenommen wurden. Muss sich die ÖVP also wundern, dass man an ihren Darstellungen zweifelt? Eine Antwort darauf ist überflüssig, es handelt sich um eine rhetorische Frage.
Selbstverständlich muss der ÖVP eine faire Behandlung durch die Justiz zuteil werden. Gerade als bestimmende Regierungspartei aber wäre es ihre Pflicht, höhere Ansprüche im Umgang mit Recht zu erfüllen und auch dafür zu sorgen, dass die Justiz fair sein kann. Allein: Ausgerechnet in diesem Zusammenhang verhält sie sich willkürlich, ganz so, wie es allein ihren Interessen entspricht.
Für das Ganze gibt es drei Ausprägungen:
Erstens. Die ÖVP bedient sich der Justiz, wenn es darum geht, gegen Kritiker oder politische Gegner vorzugehen: In der Causa Blümel will sie bereits in 13 Fällen wegen Vorverurteilung geklagt haben. Offenbar handelt es sich um Privatpersonen, die sich in sozialen Medien geäußert haben. Das hat einen schalen Beigeschmack: Natürlich müssen sich auch Politiker und Parteien nicht alles gefallen lassen. Wenn sie sich andererseits aber nicht hart angreifen lassen, gefährden sie damit unverzichtbare Merkmale von Demokratie und freier Meinungsäußerung.
Zweitens. Justizpflege (im besten Sinne des Wortes) ist der ÖVP kein sichtbares Anliegen. Im Gegenteil, dieser Tage ist das im Ibiza-U-Ausschuss deutlich geworden, bei dem die Partei so gar nicht verhehlen kann, wie zuwider er ihr ist. Ex-WKStA-Staatsanwältin Christina Jilek hat hier ausgeführt, dass es ihr mit Weisungen und Berichtspflichten schwer bis unmöglich gemacht worden ist, einen ordentlichen Job zu machen. Das ist nicht irgendeine Sache. Sie bedeutet dem Bürger vielmehr, dass es politische Kräfte gibt, die versuchen, Einfluss zu nehmen – bei Jilek insofern mit Erfolg, als sie schließlich entnervt ihren Job aufgab.
Drittens. So sehr der ÖVP die Justiz recht ist, wenn es darum geht, sie gegen politische Gegner einzusetzen (Vgl. Punkt A), so hemmungslos geht sie gegen die Justiz vor, wenn sie sich als Opfer darstellen möchte. Es ist wohl ziemlich einmalig für entwickelte Demokratien, dass – wie Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) am vergangenen Freitag im Ö1-Mittagsjournali – ein Regierungsmitglied in die Medien geht, um parteipolitisch motiviert einen Kollegen (Blümel) in Schutz zu nehmen bzw. gegen eine Staatsanwaltschaft zu argumentieren. Genauso wie es bemerkenswert ist, dass die ÖVP nun durch eine parlamentarische Anfrage nachlegen möchte. Das ist eine Kampfansage an die Justiz.
Dabei könnte es sich die neue Volkspartei einfach machen: Wer, wie Blümel, mit dem Zusatz „Spende“ um einen Gefallen gebeten wird, wird wohl umgehend antworten, „Gespräch gerne, Spende jedoch ausgeschlossen.“ Nur, damit kein Missverständnis entsteht – und vor allem auch im Wissen, dass eines Tages fürs politische Überleben notwendig werden könnte.
Vor allem aber könnte sich die ÖVP viel mehr noch als mit dem nunmehrigen Ruf nach einem unabhängigen Bundesstaatsanwalt einen Gefallen machen und zudem ihre Mitbewerber unter Druck setzen; einfach dadurch nämlich, dass sie mit all ihren Vereinen und Vorfeldorganisationen sämtliche Finanzen offenlegt. Das sollte möglich sein.
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