Staatskrise

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ANALYSE. Typisch Österreich: Die Aussagen von Pilnacek sind fast schon wieder vergessen. Dabei können sie in ihrer Tragweite nicht überbewertet werden.

War da was? Die ÖVP bereitet den parlamentarischen Untersuchungsausschuss zu „rot-blauem Machtmissbrauch“ vor, den sie in den Jahren 2007 bis 2020 offenbar vermutet, Sozialdemokraten und Freiheitliche widmen sich wiederum einem Ausschuss zu Coronaförderungen, die über die Cofag an Unternehmen ÖVP-naher Milliardäre geflossen sind. Womit sie Türkisen in die Falle gegangen sind: Der Machtmissbrauch-Ausschuss ist Ablenkung; und sie reagieren auf diese Ablenkung nicht etwa, indem sie darauf bestehen, sich mit dem Wesentlichen auseinanderzusetzen, sondern indem sie auf die Ablenkung mit einer anderen Ablenkung reagieren, die der ÖVP vielleicht ebenfalls schaden könnte.

Einer Partei schaden ist jedoch nicht das Thema. Genauso wenig wie eben allfälliger „Machtmissbrauch“, für den FPÖ und SPÖ insofern schon zur Verantwortung gezogen worden sind, als sie nach Nationalratswahlen aus der Regierung geflogen sind. Was die Coronaförderungen betrifft, ist für die Volkspartei erst Zahltag, wesentlich wäre aber ohnehin etwas ganz anderes.

Nämlich das, was fast schon wieder vergessen ist: Was der mittlerweile verstorbene Christian Pilnacek im Sommer in einem Restaurant behauptet hat: Die ÖVP habe von ihm, dem einst mächtigen Sektionschef im Justizministerium, verlangt, Ermittlungen, die ihr zu schaffen machen, einzustellen. „Das kann ich nicht, mach‘ ich nicht“, habe er geantwortet. Nationalratspräsident Wolfgang Stobotka habe ihm sogar unterstelt, versagt zu haben, weil er nie etwas abgedreht habe.

Der an dem Gespräch beteiligte deutsche Unternehmer, der dazu beigetragen hat, dass das öffentlich geworden ist, hat laut „Krone“ eine Art Staatskrise geortet. Das ist es. „Art“ kann man sogar weglassen. Es macht wenig besser, wenn Pilnacek schwarz-türkisen Vorstellungen nicht entsprochen hat. Das Problem ist, dass die ÖVP als langjährige Regierungspartei seinen Aussagen zufolge geglaubt hat, sich über grundlegende Prinzipien der Gewaltenteilung hinwegsetzen zu können.

Dass zumindest Sobotka das tut, wenn es um rechtlich nicht klar festgelegte Formen der Gewaltenteilung geht, ist bekannt. Wer behauptet, dass es hierzulande nach Inseratenkorruption rieche, die auf Kosten journalistischer Unabhängigkeit geht, der kann ihn als Zeugen anführen: Gegenüber Wolfgang Fellner hat er einmal auf oe24.tv erklärt, dass es für jedes Inserat ein Gegengeschäft gebe. Sprich: Seinen Vorstellungen von Normalität nach bekommt man auch etwas dafür. Wobei sein Glück in diesem Fall war, das das ganz offensichtlich auch für Fellner so zu sein scheint. Er hat jedenfalls nicht widersprochen.

In dieser Qualität neu ist, dass es den Ausführungen von Pilnacek zufolge Versuche gab, sich über rechtlich explizit vorgesehene Formen der Gewaltenteilung hinwegzusetzen. Das leitet zur Staatskrise über: Es darf daher nicht so stehen bleiben – und kann auch nicht mit begrenzt Aussagekräftigem vom Tisch gewischt werden, was Pilnacek in Untersuchungsausschüssen gesagt hat.

Im Staatsanwaltschaftsgesetz steht nicht, dass Staatsanwaltschaften der ÖVP zu dienen haben. § 1 lautet vielmehr: „Die Staatsanwaltschaften sind in Erfüllung ihrer gesetzlichen Aufgaben zur Wahrung der Interessen des Staates in der Rechtspflege … berufen.“ Laut dem Staatsrechtler Ewald Wiederin haben sie damit dem Gemeinwohl zu dienen. Man könnte auch von wichtigen Hütern des Rechtsstaates reden.

Das unterstreicht nur, welches Vergehen hier im Raum steht: Dass es Ideen gab, es könnte im Interesse des Staates sein, bei der ÖVP ein Auge zuzudrücken. Beziehungsweise dass man geglaubt hat, es sich so richten zu können. Das würde zu den schwerwiegendsten Vergehen gegen den demokratischen Rechtsstaat gehören und im Übrigen viel eher nach einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss schreien als das, was die ÖVP zur Ablenkung macht und als das, worauf sich SPÖ und FPÖ einlassen.

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