ANALYSE. Allmählich sickert, was ÖVP und Grüne mit einer Strafprozessänderung schnell, schnell durchpeitschen wollten.
Die Begründung, die Regierungszusammenarbeit nach der Zustimmung von Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne) zur EU-Renaturierungsverordnung nicht zu beenden, sondern fortzusetzen, war mager. Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) hatte sinngemäß gesagt, dass es darum gehe, ein freies Spiel der Kräfte auf parlamentarischer Ebene zu verhindern.
Zum einen wären laut Nehammer Kosten für die Steuerzahler mit einem solchen verbunden: Wahlkämpfende Parteien könnten Beschlüsse fassen als gäb’s kein Morgen mehr. Wobei: Laut einer Auflistung des Fiskalrats zu derartigen Beschlüssen in der Vergangenheit geht es dabei insbesondere um Pensionserhöhungen, die über den gesetzlich vorgesehenen Anpassungsfaktor im Ausmaß der Inflation hinausgehen. Und da ist bisher immer auch die ÖVP dabeigewesen. Bei weitem nicht allein, aber doch.
Zum andern würde laut Nehammer „Chaos“ drohen. Nicht besser als das ist jedoch, was ÖVP und Grüne auf parlamentarischer Ebene gerade durch eine Strafprozessrechtsänderung durchpeitschen wollten. Eine Schwächung der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) nämlich.
Dass das Nehammers Türkise versucht haben, ist aufgrund all der Affären, in die ihre Partei seit Sebastian Kurz verwickelt ist, ja aufgrund ihres gestörten Verhältnisses zur WKStA weniger überraschend: Andreas Hanger, ihr Mann fürs Grobe, hat ja schon einmal „linke Zellen“ ebendort geortet.
Aber die Grünen? Ausgerechnet sie, die sich als Garant dafür sehen, dass die Justiz ordentlich arbeiten kann? Die mit Alma Zadic sogar die zuständige Ministerin stellen? Sie tun sich bzw. ihrem Image nichts Gutes. Im Gegenteil.
Allmählich sickert die Tragweite des Ganzen. Zum Beispiel durch eine Stellungnahme des Obersten Gerichtshofes (OGH). Also nicht etwa durch eine solche der WKStA, bei der man vielleicht unterstellen könnte, dass hier eine gewisse Befangenheit vorliege.
Zunächst weist der OGH darauf hin, dass die ursprünglich vorgesehene Frist von zwei Wochen, in der Stellungnahmen zum Vorhaben abgegeben werden können, den Erfordernissen „keineswegs gerecht“ werde. Immerhin sollten hier „eingriffsintensive Regelungen“ in einer komplexen Materie auf einem ordentlichen Niveau beurteilt werden.
Schlimmer: Der OGH hat eigenen Angaben zufolge nur über die Medien mitbekommen, dass die Frist nicht schon mit 1. Juli endet(e). Erst auf Nachfrage sei ihm vom Justizministerium mitgeteilt worden, dass Stellungnahmen bis 29. Juli möglich seien. Bloß: „Eine offizielle Bestätigung seitens des Parlaments über eine Verlängerung der Begutachtungsfrist erfolgte nicht.“
Kleinigkeiten, mag man finden. Umso wichtiger ist es, den Kontext zu beachten: Die Staatsanwaltschaft (also etwa auch die WKStA) soll zum Beispiel von der Aufbereitung von „Handydaten“ ausgeschlossen werden. Diese Aufgabe soll zu einer neuen Einheit im Innenministerium wandern. Laut OGH wird der Staatsanwaltschaft damit „jede Zugriffs-, Einfluss- und Kontrollmöglichkeit“ entzogen. Das widerspreche ihrer Leitungsfunktion als „Herrin des Ermittlungsverfahrens“. Es stehe im Übrigen dem Recht der Staatsanwaltschaft entgegen, sich an Ermittlungen der Staatsanwaltschaft zu beteiligen, ja selbst Ermittlungen durchzuführen. Nachsatz: „Die Beschränkung geht über die vom Verfassungsgerichtshof an die verfassungskonforme Regelung der Materie gestellten Anforderungen weit hinaus.“