Nehammer geht selbst dem Kanzleramt zu weit

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BERICHT. Absicht, „religiöse Überzeugung“ potentieller BVT-Mitarbeiter zu überprüfen, sei überschießend.

Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) möchte in die Vertrauenswürdigkeitsprüfung potenzieller Mitarbeiter des Bundesamtes für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) auch die „religiöse Überzeugung“ einbeziehen. Das ist einer Stellungnahme des Bundeskanzleramtes zu einem Begutachtungs- bzw. einem darin erwähnten Verordnungsentwurf zu entnehmen. Pikant: Den Juristen des von Sebastian Kurz (ÖVP) geführten Kanzleramts geht das entschieden zu weit.

Um genauer zu sein: Die Stellungnahme kommt von der Abteilung I/6 – Rechts- und Vergabeangelegenheiten. Gezeichnet ist sie mit 12. Juni „in Vertretung“ der für auch Frauen und Integration zuständigen Kanzleramtsministerin Susanne Raab (ÖVP).

In der Stellungnahme erinnern die Juristen den Innenminister an das Grundrecht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit nach Artikel 9 der Europäischen Menschenrechtskonvention. Eingriffe seien nur unter bestimmten Umständen möglich, im konkreten Fall seien sie nicht gegeben. Das Vorhaben sei vielmehr überschießend. Und überhaupt: Es gehe ausschließlich um religiöse Einstellungen, nicht aber um andere, die möglicherweise ebenfalls extrem sein könnten.

Auszüge aus der Stellungnahme im Wortlaut: „Die Erläuterungen legen als Motiv für diese Regelung dar, dass die Staatsschutzbehörden sicherstellen, dass die notwendige objektive Aufgabenerfüllung durch jeden einzelnen Bediensteten nicht durch radikale persönliche religiöse Überzeugung oder ihm gewidmeter dahingehender Überzeugungsarbeit beeinflusst werden soll sowie Erfahrungen zeigen, dass extreme religiöse Überzeugungen von Bediensteten Einfluss auf ihre Aufgabenwahrnehmung bzw. auf die ihrer Kolleg/innen nehmen können. Im Hinblick auf diese grundsätzlich nachvollziehbare Motivation ist aber die Regelung insbesondere aus zwei Richtungen überschießend.

Zum einen wird wegen der möglicherweise „extremen“ religiösen Überzeugung Einzelner in das Grundrecht aller Betroffenen, die religiöse Einstellung nicht offenlegen zu müssen, eingegriffen. Zum anderen wird nur die religiöse, nicht jedoch eine sonstige, nicht religiöse Überzeugung abgefragt. Abgesehen davon, dass es im Einzelfall schwierig sein kann, religiöse von nichtreligiösen Einstellungen zu unterscheiden, ist auch nicht erkennbar, dass religiöse Überzeugungen von vornherein mehr zu Extremismus neigen als nicht religiöse Überzeugungen. Das Abfragen der religiösen Überzeugung erscheint daher unsachlich und unverhältnismäßig. Eine religiöse Überzeugung zu haben oder nicht zu haben, kann keinen Hinweis auf das Vorliegen auf „extreme“ Überzeugungen bieten.

Hinzuweisen ist auch noch darauf, dass es sich bei der religiösen Überzeugung um eine subjektive Einschätzung seiner Ansichten handelt, es geht bei Überzeugungen nicht um die Zugehörigkeit zu einer definierbaren Gruppe. Die Angabe dieser Überzeugung muss daher notwendigerweise vage sein. Umso mehr gilt dies, wenn der zu Überprüfende die religiöse Überzeugung anderer – eben seiner Angehörigen – angeben soll. Dies ist auch deswegen problematisch, weil einer staatlichen Einrichtung gegenüber eine schwer kategorisierbare Angabe getätigt wird, und derjenige, über den diese Angabe getätigt wird, nicht einmal davon weiß.“

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