BERICHT. Justizminister Brandstetter will Tilgung von Verurteilungen ermöglichen – Gesellschaft für Sexualwissenschaften und Rechtskomitee Lambda fordern automatische Aufhebung, „wie das mit Nazi- und Deserteursurteilen geschehen ist“.
Erkenntnisse des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) und des Verfassungsgerichtshofes haben mehrfach bestätigt, dass Homosexuelle im österreichischen Strafrecht benachteiligt werden. Der Gesetzgeber hat mit einiger Verzögerung und nur zum Teil darauf reagiert. So will Justizminister Wolfgang Brandstetter (ÖVP) erst jetzt eine Tilgung von Verurteilungen ermöglichen, die auf Basis längst aufgehobener Bestimmungen erfolgt sind. Während die „Homosexuelle Initiative“ (HOSI) Wien den entsprechenden Begutachtungsentwurf wie berichtet begrüßt, kommt von der Österreichischen Gesellschaft für Sexualwissenschaften und dem Rechtskomitee Lambda massive Kritik.
„Die Diskriminierung der Opfer der homophoben Strafverfolgung wird auch mit diesem vorgeschlagenen Gesetz fortgesetzt“, schreibt Lambda in einer Stellungnahme, die die Gesellschaft für Sexualwissenschaften vollinhaltlich unterstützt: „Erst 1971 (in Frankreich bereits 1789) wurde in Österreich das Totalverbot homosexueller Kontakte (zwischen Männern und zwischen Frauen) aufgehoben. Und Österreich wollte damals nicht, wie andere Länder Europas (Frankreich bereits 1789) fortan homo- und heterosexuelle Kontakte zumindest im Strafrecht gleichbehandeln, sondern hat die eine Strafbestimmung „Widernatürliche Unzucht“ durch vier neue ersetzt.“ So sei eine Sonderaltersgrenze für schwule Beziehungen von 18 Jahren eingeführt (§ 209) eingeführt worden. Erst 2002 habe der Verfassungsgerichtshof diese Bestimmung beseitigt. Und erst weitere vier Jahre später habe Bundespräsident Heinz Fischer einen Teil der Verurteilungen „gnadenweise aus dem Strafregister gelöscht; aber nur zum Teil“.
Die Kritik von Lambda und der Gesellschaft für Sexualwissenschaften ist umfassend:
- Kein einziges Urteil werde automatisch aufgehoben („wie das mit Nazi- und Deserteursurteilen geschehen ist“). Das bedeute, dass „menschenrechtswidrige Verurteilungen“ aufrecht bleiben.
- Auf Antrag soll eine Tilgung von Verurteilungen möglich werden. Eine solche beseitige allerdings „nicht alle nachteiligen Rechtswirkungen und sämtliche Urteilsfolgen“. So könnten Verurteilungen weiterhin bei anderen Verfahren – zum Nachteil der betreffenden Person – berücksichtigt werden. Auch außerhalb des Strafrechts seien negative Wirkungen möglich; etwa bei der Beurteilung der Verkehrszuverlässigkeit hinsichtlich einer Führerscheinentziehung.
- Kein Opfer „der jahrzehntelangen (bis 2002 andauernden) homophoben Strafverfolgung“ werde entschädigt.
- „Nicht einmal eine Silbe des Bedauerns oder der Klarstellung, dass die Verfolgung homosexueller Frauen und Männer Unrecht war, findet sich in dem Gesetz. Der deutsche Bundestag hat eine solche Ehrenerklärung bereits im Jahr 2000 (!) einstimmig (!) verabschiedet.“
Zusammenfassung fordern Lambda und die Gesellschaft für Sexualwissenschaften, zumindest nicht nur die Verurteilungen aus dem Strafregister zu löschen, „sondern alle diskriminierenden Verurteilungen nach den homophoben Sonderstrafgesetzen aufzuheben“.