Frei nach Welan

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ANALYSE. Der Verfassungsjurist hat gezeigt, was im Verfassungsbogen alles geht. Im Hinblick auf einen möglichen „Volkskanzler“ ist es wichtig, derlei zu bedenken.

Vor wenigen Tagen ist der Wiener Verfassungsjurist Manfried Welan im Alter von 86 Jahren verstorben. Er lehrte an der BOKU und war unter Erhard Busek auch kommunalpolitisch tätig, gehörte zu den „bunten Vögeln“ einer ÖVP, die es so nicht mehr gibt. Armin Thurnher hat ihm in seinem Blog eine schöne Elegie gewidmet. Kleiner Auszug:

„Bürgerlich warst du im besten Sinn, also offen für andres,
In deinem Denken doch fest.“

Anfang der 1990er Jahre hat Welan das Buch „Der Bundespräsident“ geschrieben (Verlag Böhlau). Der Untertitel heißt wenig: „Kein Kaiser in der Republik“. Der Lektüre lohnt sich jedoch. Im Großen und Ganzen handelt es sich um eine Anregung, nicht davon auszugehen, was man gewohnt ist, sondern darüber nachzudenken, was möglich ist.

Im konkreten Fall sollte die Tatsache, dass der Bundespräsident in der Vergangenheit meist eher nur als machtloser Mahner wahrgenommen wurde, nicht darüber hinwegtäuschen, wie mächtig er innerhalb des bestehenden Verfassungsbogens sein könnte. Ein solcher Zugang ist gerade auch im Hinblick darauf wichtig, dass FPÖ-Chef Herbert Kickl antritt, „Volkskanzler“ zu werden.

Welan skizziert in seinem Buch eine Entwicklung hin zu einer parlamentarischen Präsidentschaftsrepublik. Wenn Bruno Kreisky wie Kickl getickt hätte, hätte er sich um eine solche bemühen können; und zwar durchaus mit Aussicht auf Erfolg.

Am Höhepunkt seiner Popularität und auf Basis einer absoluten SPÖ-Mehrheit hätte er in den 1970er Jahren sicherlich Chancen gehabt, zum Staatsoberhaupt gewählt zu werden. Als solches wäre er – wenn er eben wie Kickl getickt hätte (!) – Parteivorsitzender geblieben, hätte sich einerseits einen Kanzler und Minister als Erfüllungsgehilfen gehalten und andererseits über seine Fraktion den Nationalrat kontrolliert.

Es ist notwendig, derlei durchzudenken. Demokratie wird nicht von heute auf morgen abgeschafft, sie wird eher ausgehöhlt, ja ausgezehrt oder verbogen. Und natürlich: Bis voraussichtlich 2028 ist Alexander Van der Bellen Bundespräsident, und Herbert Kickl ist derzeit weit von einer absoluten Mehrheit für seine Partei (oder für sich selbst) entfernt. Seit 2016 weiß man jedoch, dass auch ein Freiheitlicher zum Staatsoberhaupt gewählt werden könnte. Schon in vier Jahren findet der nächste Urnengang dazu statt.

Zweitens: Gerade Kickl hat es perfektioniert, die öffentliche Meinung zu beeinflussen. Das mit dem „Volkskanzler“ ist grundsätzlich ein Schmäh. Er braucht ja (zumindest) einen Koalitionspartner, mit dem er sich arrangieren muss. Andererseits aber wird die politische Agenda mehr denn je von ihm bestimmt, obwohl er noch in Opposition ist. Ohne Kickl wäre es schwer vorstellbar, dass sich insbesondere die ÖVP (schier) ganz auf das Thema Asyl versteift, dass sie auf Distanz zur EU geht oder tagein, tagaus beteuert, Österreich sei neutral. Sprich: Indirekt regiert Kickl (bereits) mit, hat sich die Volkspartei in ihrer Not zu einer Getriebenen von ihm gemacht.

Das ist umso relevanter, als er sich nicht nur gegenüber seinen Anhängern als künftiger „Volkskanzler“ anbietet, sondern sich mit seiner Partei auch als Freund der direkten Demokratie ausgibt. Wobei es nicht darum geht, zu hören, was das Volk will, sondern vom Volk zu dem ermächtigt zu werden, was er will. Manipulation kann dabei helfen, z.B. Inseratenkorruption letzten Endes nützlich sein.

Es wäre leichtfertig, anzunehmen, dass die Verfassung vor autoritären Entwicklungen schützt. Ihre „Schwäche“ ist, dass sie davon abhängig ist, dass entscheidende Akteure in ihrem Geiste tätig sind. Dass sich ein „Volkskanzler“ mit einem schwachen Koalitionspartner und der Fähigkeit, die öffentliche Meinung zu beeinflussen, über diesen Geist hinwegsetzen kann. Und dass ein „Volkskanzler“, der eines Tages einen willfährigen Parteifreund in der Hofburg sitzen hat, überhaupt das Schlimmste wäre.

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