Was ist jetzt mit der Neutralität?

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ANALYSE. ÖVP, SPÖ und Grüne tendieren zu einer passiven Neutralität. Freiheitliche tun es ganz offen, um eine Renationalisierung zu betreiben. Gefragt wäre jedoch eine engagierte – wenn schon, denn schon. Sonst wird hier nur eine Lüge gepflegt.

„Österreich war neutral, ist neutral und bleibt neutral“, wiederholte Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) im vergangenen Sommer immer wieder, nachdem es aufgrund des russischen Überfalls auf die Ukraine auch in seiner eigenen Partei zu einer Kurzdebatte gekommen war. Seither ist das, was passiert, für eine Masse nicht mehr nachvollziehbar: Neutralität reduziert sich im Wesentlichen auf eine Nichtteilnahme an dem fremden Krieg, der in Wirklichkeit alles andere als fremd ist. Er betrifft ganz Europa und daher trägt man zumindest die Sanktionen gegen Russland ebenso mit, wie man über die EU die Finanzierung und die Lieferung von Waffen an die Ukraine durch eine konstruktive Enthaltung ermöglicht.

Die Neutralität, die Nehammer praktiziert, ist eine sehr passive und entspricht im Wesentlichen auch den Vorstellungen von Sozialdemokraten und Grünen – sofern bei diesen eine Außenpolitik überhaupt wahrnehmbar ist. Abschaffen will sie niemand, mit Ausnahme der Neos. Eingesetzt wird sie andererseits aber auch nur in einer Art und Weise, die den Eindruck erweckt, dass man sich einfach nur auf sich selbst zurückziehen können will, wenn es draußen in der Welt irgendwo kritisch wird; im Sinne eines Kopf-in-den-Stand-steckens.

Was die FPÖ von Herbert Kickl macht, ist im Grunde genommen „bloß“ eine Steigerung davon: Sie verfolgt das Konzept einer isolationistischen Neutralität. Das bedeutet, dass man in äußeren Angelegenheiten auch wertneutral ist und Sanktionen gegen Russland sowie Hilfen für die Ukraine für sich ablehnt; dass man dicke Festungsmauern errichtet, um sich dahinter verschanzen zu können. Was insofern ganz gut ankommen könnte bei sehr vielen Menschen als es der Illusion dient, dass man es sich so mit niemandem verscherzen kann und daher auch nie angegriffen wird. Dass man so Weltkrisen von sich fernhalten kann.

Würde es hier irgendjemandem um Neutralität und Sicherheit gehen, er (oder sie) würde wenigstens einen Ansatz aufgreifen, den der Politikwissenschaftler Heinz Gärtner unter dem Stichwort „engagierte Neutralität“ ins Spiel gebracht hat. Wenn schon, denn schon. Beziehungsweise: Wenn man schon glaubt, dass die Neutralität nicht ganz aufgehoben werden soll, dann muss man sie auch einsetzen. Sonst betreibt man nur eine große Lüge.

Neutralität lebt ja vor allem davon, dass sie von den anderen Staaten anerkannt wird. Anerkannt wird sie aber nicht, weil das vielleicht in der Vergangenheit einmal getan worden ist oder weil Österreich heute von Fall zu Fall ruft „Wir sind neutral!“. Anerkannt wird sie – frei nach Gärtner – allenfalls, wenn sie für andere Staaten nützlich ist.

Es fällt schwer zu glauben, dass sie das zum Beispiel für den russischen Präsidenten Wladimir Putin oder sonst einen Diktator sein könnte. Es ist auch schwer, sich vorzustellen, wie das erreicht werden könnte. Es gibt aber eben nicht einmal ein wahrnehmbares, geschweige denn ernstgemeinstes Bemühen, sich bei Konflikten in der Welt als Vermittler zu empfehlen sowie Lösungsvorschläge zu entwickeln und zu bewerben; und zwar in der Überzeugung, dass Streitparteien immer einen unbeteiligten Dritten brauchen.

Insofern meinen es hier ausgerechnet diejenigen, die vorgeben, Hüter der Neutralität zu sein, nicht gut mit ebendieser. Im Gegenteil.

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