ANALYSE. Kaum jemand beweist über die Jahre so viel Sprunghaftigkeit zu Fragen wie Neutralität und NATO-Beitritt wie Andreas Khol. Ein bezeichnender Umgang mit Sicherheitspolitik.
Fast 70 Jahre mussten vergehen, bis ein Bundeskanzler eine unverblümte Sicht zur Neutralität darlegt. Sie sei Österreich nach dem Zweiten Weltkrieg von den sowjetischen Kommunisten aufgezwungen worden, erklärte Karl Nehammer (ÖVP) in eine ORF-Pressestunde Ende Februar. Russland erwiderte nun, das Land sei nur scheinbar neutral. Soll heißen: Man muss davon ausgehen, dass dieser Status von Moskau nicht mehr anerkannt wird.
Gelebt hat Österreich nicht schlecht mit der Neutralität, man war eine Zeitlang sogar stolz darauf, viel länger hat man sie zumindest genossen: Man fühlte sich so sicher, dass man die eigene Wehrhaftigkeit vernachlässigte und sich nur selten Gedanken über die sicherheitspolitische Ausrichtung machte.
Bis ÖVP-Kanzler Wolfgang Schüssel kam und verkündete: „Die alten Schablonen – Lipizzaner, Mozartkugeln oder Neutralität – greifen in der komplexen Wirklichkeit des 21. Jahrhunderts nicht mehr.“ Ein NATO-Beitritt wurde angestrebt. Andreas Khol erklärte als Klubobmann Ende der 1990er Jahre: „Die Neutralität hat ausgedient“, sie gehöre verräumt wie die Kaiserkrone in der Schatzkammer.
Das galt nicht lange, wie „Der Standard“ dieser Tage dokumentierte: 2007 war auch für Khol wieder alles beim Alten. Begründung: Die Wahrscheinlichkeit eines bewaffneten Konflikts in Europa sei gesunken. Außerdem könnte sich ein NATO-Beitritt durch die Entwicklung einer Gemeinsamen Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik erübrigen.
Anfang März 2022, der Ukraine-Krieg tobte bereits, bekannte ich Khol noch zur Neutralität: Die Bevölkerung sei nicht bereit, sie aufzugeben, argumentiere er gegenüber dem „Standard“, es bedürfte einer langen Diskussion, um an dieser Stimmungslage je etwas ändern zu können.
Wenige Tage später war es bereits soweit oder nicht mehr relevant. Gegenüber der „Kleinen Zeitung“ forderte Khol jedenfalls die Mitarbeit an einer EU-Armee oder einen NATO-Beitritt: „Ein neutraler oder bündnisloser Staat bleibt allein, wenn er angegriffen wird.“
In besagter Pressestunde hatte Karl Nehammer gemeint, eine EU-Armee sehe er derzeit nicht. Also könnte man daraus schließen, dass nur ein NATO-Beitritt möglich wäre. Einziges Problem: Warum soll sich die NATO gerade jetzt erweitern, was soll sie mit Österreich? Dazu müsste es sein Verteidigungsbudget nicht nur von 0,6 auf ein Prozent des BIP erhöhen, wie Nehammer gerade ankündigt hat; es müsste eher zwei Prozent betragen, das ist die Bündnis-Zielmarke. Investitionsrückstände, die Ex-Verteidigungsminister Thomas Starlinger in einem Papier 2019 geortet hatte, würden noch dazukommen. Sein Befund damals lautete, dass das Bundesheer nur zu 25 Prozent fähig wäre, eine Abwehroperation zu erfüllen.
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