ANALYSE. Zumindest politisch hat Verteidigungsministerin Tanner eine rote Linie überschritten. Sie hat es zu einer doppelten Missachtung des Souveräns kommen lassen.
Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP) hat ausnahmsweise keine symbolische Maßnahme gesetzt. Sondern eine schwerwiegende: Unter ihrer Verantwortung wurden Journalisten am Montagabend darüber informiert, dass das Bundesheer nicht mehr vorrangig zur Landesverteidigung da sein soll, sondern ausschließlich für Katastrophenfälle und Grenzkontrollen gegenüber Flüchtlingen und Migranten.
Ein Fall für eine Ministeranklage? „Der Nationalrat kann gegen Mitglieder der Bundesregierung wegen schuldhafter Gesetzesverletzung Anklage beim Verfassungsgerichtshof erheben“, heißt es auf der Website des Parlaments. Und weiter: „Ein Regierungsmitglied kann dann zur Verantwortung gezogen werden, wenn es in seiner Amtsführung Vorschriften der Bundesverfassung oder der Gesetze verletzt hat.“
Sagen wir so: Tanner hat mit ihrem Akt, den sie zwischenzeitlich ja wieder zurückgezogen hat, zumindest zum Ausdruck gebracht, was sie von der Aufrechterhaltung der umfassenden Landesverteidigung hält, die mit der Neutralität verbunden ist. Nichts. Das könnte aber auch Amtsvorgängern von ihr unterstellt werden, die das Bundesheer in den vergangenen Jahren aushungern ließen. Tanner hat jetzt quasi nur amtlich bestätigt, dass die Truppe militärische nicht mehr zu gebrauchen ist.
Und überhaupt: Genau genommen ist die Verteidigungsministerin noch nicht zur Tat geschritten, sondern hat erst Pläne geschmiedet. Auch wenn der Vergleich holprig ist: Das ist wie bei Heinz-Christian Straches Äußerungen im Ibiza-Video.
Schwerwiegender wiegt eine politische Dimension, die zumindest eine Sondersitzung des Nationalrats, wenn nicht gar ein Misstrauensvotum gegen Tanner rechtfertigen würde: Sie hat den Oberbefehlshaber links liegen lassen. Bundespräsident Alexander Van der Bellen wurde hinterher, und auch das nur indirekt, über Medienberichte informiert, dass „sein“ Bundesheer bald nicht mehr das Bundesheer sein soll, als das es vorgesehen ist.
„Mein Gott, das ist die Realverfassung“, könnte man jetzt sagen. Hier aber kommt eine doppelte Missachtung des Souveräns zum Ausdruck: Tanner agierte nicht nur am Nationalrat, also der Volksvertretung vorbei, sondern eben auch am Bundespräsidenten, der erstens Oberbefehlshaber und zweitens der Repräsentant im Staat ist, der aufgrund der Direktwahl über die größte demokratische Legitimation verfügt.
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