ANALYSE. Seit dem Krieg in der Ukraine herrschen in Teilen der Bevölkerung grundlegende Verunsicherungen und Ängste vor. Sie werden verdrängt. Politik spielt gerne mit – und macht damit auch für sich selbst alles nur noch schlimmer.
Allmählich sickert, dass in Österreich (wie auch in anderen Ländern) ein Geburtenrückgang läuft und dass dieser mit multiplen Krisen zusammenhängt. Unter Federführung der Akademie der Wissenschaften ist das sogar näher untersucht (und hier dokumentiert) worden. Ein Ergebnis: 30 Prozent all jener, die dafür infrage kommen, geben an, einen Kinderwunsch geändert zu haben oder sich diesbezüglich unsicher geworden zu sein. 30 Prozent! Am meisten Einfluss darauf hat die Teuerung: Man weiß nicht, was man sich in absehbarer Zeit noch leisten kann. Kaum weniger Einfluss darauf hat jedoch der Krieg in der Ukraine: Man weiß nicht, ob und wie lange hierzulande noch Frieden herrschen wird.
Umso bemerkenswerter ist, dass die Teuerung ein dominierendes politisches Thema ist, Sicherheit jedoch so gar keines. In Deutschland hat Verteidigungsminister Boris Pistorius bereits gewarnt, dass es in „fünf bis acht Jahren“ Krieg mit Russland geben könnte. In Schweden hat der oberste Zivilschützer Carl-Oskar Bohlin seinen Landsleuten empfohlen, sich auf einen Krieg vorzubereiten.
In Österreich hat Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) soeben ein persönliches Reformprogramm vorgelegt, in dem Verteidigungsfragen gestreift werden und in dem in einem eigenen Kapitel ein Bekenntnis nur Neutralität abgelegt wird, weil sie historisch gewachsen und in der Bevölkerung fest verankert sei. Andere Politiker, darunter Andreas Babler (SPÖ) und Herbert Kickl (FPÖ), haben noch kein Wahlprogramm vorgelegt, sofern man davon absieht, dass Kickl eine Vogel-Strauß-Politik betreibt: Sich einbunkern und in einer Festung isolieren; bzw. unter dem Vorwand, neutral zu sein, niemanden, auch den größten Aggressor nicht, verärgern, sodass man im Ernstfall vielleicht geschont wird.
Alles in allem ist das wie mit dem Elefanten im Raum: Alle wissen, dass da etwas ist; viele beschäftigt es; es ist jedoch so beklemmend, dass es lieber verdrängt wird; und weil das so ist, tendiert die Politik ebenfalls dazu, den Elefanten zu „übersehen“. Allein: Alle wissen, dass man sich damit letzten Endes nur selbst belügt.
Das Verteidigungsministerium hat nun ein „Risikobild“ präsentiert, in dem unterschiedliche Szenarien skizziert werden. Gerade im laufenden EU-Wahl-Jahr werde man etwa mit einer „hohen Wahrscheinlichkeit eine hybride Kriegsführung“ Russlands erleben. Durch Cyberangriffe und Desinformationskampagnen könnte demnach versucht werden, Europa zu destabilisieren. Ressortchefin Klaudia Tanner (ÖVP) wollte jedoch nicht ins ZIB2-Studie kommen, um sich dazu zu äußern. Offenbar mag sie nicht zu viel darüber reden.
Das ist einerseits nachvollziehbar: „Unser Heer“ soll laut Nehammer-Plan im Jahr 2030 in der Lage sein, Österreich jederzeit vor Gefahren von außen zu schützen. Sprich: Heute und in den kommenden fünf Jahren ist es das nicht. Eine der dringlichsten Fragen wäre, die Miliz wiederzubeleben und ihre Mitglieder regelmäßig üben zu lassen. Vorgesehen ist das jedoch nicht.
Trotzdem ist eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Elefanten im Raum wichtig, ja sie wäre auch parteipolitisch klug: In Deutschland und Schweden, wo man sich eher darauf einlässt, geht es nicht um Kriegstreiberei, sondern um die Herstellung einer Wehrfähigkeit.
Den Blick dafür zu schärfen, was passieren könnte, würde im Übrigen beruhigend wirken. Beunruhigend wirken diffuse, apokalyptische Vorstellungen. Und zur Parteipolitik: Populär ist das alles nicht, Stimmen wird man damit kaum gewinnen. Sehr wahrscheinlich aber würde man weniger Glaubwürdigkeit (und damit auch Stimmen) verlieren, wenn man den Elefanten endlich thematisiert.