ANALYSE. ÖVP, SPÖ und Neos haben eine längere, wahlfreie Zeit vor sich zu. Das ist gut für ihre Zusammenarbeit und wichtig für das Land.
„Zuckerl“ müsse bei der Nationalratssitzung am Freitag, bei der der neue Kanzler Christian Stocker (ÖVP) eine Regierungserklärung abgeben wird, liefern, schreibt der Boulevard. Was genau er sich erwartet, bleibt offen. Vielleicht ging es einzig und allein darum, dieses ständige Verblödeln der Politik fortzusetzen. Stichwort „Zuckerl“.
Natürlich muss Schwarz-Rot-Pink liefern: das Budget sanieren, mit der Rezession fertig werden, den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken und so weiter und so fort. Die Liste wird schier täglich länger, die Reihung ändert sich ständig. Mehr und mehr an Bedeutung gewinnen Sicherheit und Verteidigung.
Das kommt im Regierungsprogramm noch nicht einmal zum Ausdruck. Dabei ist es keine Woche alt: „Hier gab es sicher große Vorbehalte bei der SPÖ, auch der ÖVP. Allen, die sich ernsthaft mit dem Thema befassen, ist klar, dass wir weder militärisch noch mental auf die Situation vorbereitet sind. Diese Erkenntnis wird sich früher oder später durchsetzen, dazu braucht es weder Regierung noch Medien, das schafft die Realität ganz allein. Und dann gibt es auch für die Politik kein Ausweichen“, sagt der Neos-Abgeordnete Veit Dengler in einem Interview mit der „Kleinen Zeitung“.
Worauf er anspielt: Gustav Gressel von der Landesverteidigungsakademie in Wien ist gegenüber der APA deutlich geworden. Die Aussetzung von US-Waffenlieferungen an die Ukraine bezeichnet er als „Riesenshit“: Wenn die Europäer jetzt schnell handeln würden, könnten sie „viel substituieren“. Man müsse sich jedoch auf einen Krieg mit Russland vorbereiten. Die Wahrscheinlichkeit eines russischen Überfalls auf ein EU-Land ab Mitte des kommenden Jahres beziffert er mit 80 Prozent.
Vor diesem Hintergrund tritt die schwarz-rot-pinke Regierung an. Konfrontiert mit Herausforderungen, vor denen sie sich nicht drücken kann. In Verbindung mit der Tatsache, dass die wahrscheinliche Alternative zu ihr ein Kabinett unter Führung von Putin-, Trump- und Orban-Freund Kickl wäre, ist derlei jedoch dazu angetan, sie zu stärken.
Bei ÖVP und SPÖ ist in den vergangenen Wochen wieder eine Spur von einem großkoalitionär-sozialpartnerschaftlichen Geist aufgekommen. Nicht, dass er schon bestimmend wäre. Auf ihm können die beiden jedoch aufbauen, er könnte entscheidend werden. Neos haben als dritte im Bunde eine wichtige Zusatzfunktion: Sie haben keine Scheuklappen. Wenn Schwarze und Rote das als Chance begreifen, dort, wo es notwendig und vernünftig erscheint, neue Wege zu gehen, dann kann es nur gut sein, dass sie eine Kraft an ihrer Seite haben, die sie immer wieder antreibt.
Wichtig bei alledem ist auch dieses Zeitfenster: Ursprünglich ist Schwarz-Rot-Neos aus einer Position der Schwäche gestartet, ist die FPÖ doch die größte Wahlsiegerin. Ursprünglich dominierten vor allem zwischen ÖVP, der größten Wahlverliererin, und der SPÖ, einer Wahlverliererin, Differenzen. Und wie erwähnt hat sich das zwar beruhigt.
Wären in den kommenden Wochen und Monaten jedoch laufend Wahlen, wäre das trotzdem katastrophal: ÖVP und SPÖ könnten nicht anders als immer wieder abzuwägen, ob sie diese oder jene Maßnahme setzen können, ohne Zuspruch zu verlieren. Sie wären auch ihrer selbst willen immer wieder gezwungen, sich aneinander zu treiben und sich nach außen hin sichtbar zu profilieren.
Das fällt jetzt weg: Es ist ein Glück im Unglück, dass Ende April noch die Wiener Gemeinderatswahl und dann voraussichtlich fast zweieinhalb Jahre keine Landtagswahl mehr stattfindet. Und wohl auch keine Bundespräsidenten oder Nationalratswahl. Das gibt ÖVP, SPÖ und Neos Zeit, zusammenzuwachsen und auch Maßnahmen zu setzen, die zunächst unpopulär oder unangenehm sein mögen – natürlich im Wissen, dass es notwendig bleibt, um Verständnis darum zu werben, aber halt ohne Zwang, das von heute auf morgen zu erreichen.