Verhängnisvolle Albanienroute

ANALYSE. Die Bundesregierung liefert sich dem Verdacht aus, eine neue Flüchtlingskrise zu wollen. Setzt sie das fort, geht sie mehr oder weniger freiwillig eine Partnerschaft mit Ländern wie Ungarn ein. 

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ANALYSE. Die Bundesregierung liefert sich dem Verdacht aus, eine neue Flüchtlingskrise zu wollen. Setzt sie das fort, geht sie mehr oder weniger freiwillig eine Partnerschaft mit Ländern wie Ungarn ein.

In seinem jüngsten Leitartikel erinnert sich „Heute“-Chefredakteur Christian Nusser an die Regierungsklausur Ende Mai: „Auf wundersame Art und Weise hatte sich in der Nacht davor eine Albanienroute aufgetan“, schreibt er – mit spitzer Feder, wie man früher gesagt hätte. Es kann schließlich so verstanden werden, dass Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP), Vizekanzler Heinz-Christian Strache und Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) mit ihrer Warnung vor einer neuen Flüchtlingsbewegung über den Balkan eher nur etwas inszenieren; um eine Politik fortsetzen zu können, die ihnen schon im vergangenen Nationalratswahlkampf zum Erfolg verholfen hat.

Das wäre ziemlich heftig, um es vorsichtig auszudrücken: Gerade weil sehr viele Österreicher nach den Ereignissen im Herbst 2015 geradezu traumatisiert sind und den Glauben an jegliche Stabilität und staatliche Kontrolle verloren haben, dürfte man unter gar keinen Umständen damit spielen. Das wäre schlicht und ergreifend verantwortungslos.

Die Zahlen seien lächerlich, wird der Bürgermeister von Tirana zitiert.

Umso verhängnisvoller sind für die Regierung Berichte, die zum Beispiel der „Kurier“ von einem Lokalaugenschein in Albanien liefert: Man könne „keine dramatische Entwicklung“ feststellen. „Die Zahlen sind lächerlich“, wird der Bürgermeister von Tirana zitiert. Offiziellen Angaben zufolge seien „seit Jahresbeginn zwischen 2000 und 2400 Personen im Land eingetroffen, davon hätten 1000 Syrer direkt um Asyl angesucht“. Zum Vergleich: Im Oktober 2015 gab es in Österreich 12.288 Anträge.

Da ist heute wohl jeglicher Alarmismus vollkommen unangebracht: Niemand wird bestreiten, dass Flüchtlingsbewegungen vom Nahen Osten oder Afrika nach Europa weiterhin eine große Herausforderung darstellen. Politik, die sich auf Dauer nur darauf beschränkt, Ängste zu schüren und zugleich vergisst, z.B. in die angekündigte Hilfe vor Ort zu investieren, macht sich bei solchen Zahlen jedoch unglaubwürdig.

Viktor Orbàn gewinnt Wahlen damit, dass er ohne Flüchtlinge im eigenen Land vor Flüchtlingen warnt. 

Aber wen interessieren schon Fakten? Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán gewinnt Wahlen damit, dass er ohne Flüchtlinge im eigenen Land vor Flüchtlingen warnt. Sehr wahrscheinlich wirkt das aufgrund der vielen Unbekannten besser, kommt es bei den Leuten nur noch bedrohlicher an. Wie auch immer: So lassen sich für Orbán auch Grenzen schließen und andere Restriktionen vornehmen. Für Italien ist unter der neuen Rechtsregierung ein ähnlicher Kurs zu erwarten. Womit Österreich zwangsläufig Gefahr läuft, sich mehr oder weniger unfreiwillig in eine Allianz mit solchen Ländern zu begeben; außer von ihnen wird es jedenfalls von niemandem eine Bestätigung für apokalyptische Szenarien geben.

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