ANALYSE. Kurz und Blümel können sich zu viel leisten, weil ihre Partei abgemeldet, das Parlament entmachtet und ihr Koalitionspartner überfordert ist. Und weil große Medien mitspielen.
Die Bedeutung dessen, was Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) mit seiner Weigerung bis zum „Exekutionsbeschluss“ angerichtet hat, dem Ibiza-U-Ausschuss gewünschte Akten zu liefern, ist noch nicht einmal gesickert, da wird es von Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP) erstens kleingeredet (Motto: nichts passiert) und zweitens durch den nächsten Affront überlagert: Der U-Ausschuss und die Fragen, die dort gestellt werden, gefallen ihr nicht; das sei wie bei der „Löwinger Bühne“, ließ die Gernot-Blümel- und Sebastian-Kurz-Vertraute in einer ORF-Pressestunde wissen.
In einem funktionierenden System wäre die Frau umgehend ins Parlament zitiert worden. In Österreich fällt der entscheidende Punkt dabei nicht einmal mehr auf: Köstinger ist gegenüber dem Parlament verantwortlich, das Parlament seht über ihr. Ein bisschen wäre das so, als würde der Vorstand eine Aktiengesellschaft öffentlich erklären, der Aufsichtsrat sei wie Statler und Waldorf, also wie beiden alten Männer in der Muppet Show, die das Geschehen kommentieren, ohne Einfluss darauf zu haben: Kein Aufsichtsrat dürfte sich das bieten lassen.
Und natürlich dürfte sich das auch kein Parlament gefallen lassen. Dass es das jedoch tut, erleichtert es Kurz und Co. ungemein, Grenzen zu überschreiten. Schuldig machen sich hier Nationalratsabgeordnete der ÖVP und Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka im Besonderen. Alleine schon aufgrund der Gewaltenteilung müssten sie darauf bestehen, dass das Hohe Haus so behandelt wird, wie es sich gehört; dass ihre Kontrollfunktion ernst genommen wird. Aber das tun sie halt nicht: Sobotka und die Abgeordneten haben kein Problem damit, dass sie in der Gesetzgebung eher nur eine dienende und darüber hinaus eine verteidigende Rolle gegenüber der Regierung zu pflegen haben. Als U-Ausschuss-Vorsitzender betreibt der Nationalratspräsident letztere sogar offensiv, indem er zur Freude Köstingers eine Abschaffung der Wahrheitspflicht fordert (was von der Tageszeitung „Die Presse“ als „Lizenz zum Lügen“ bezeichnet wird).
Türkise Grenzüberschreitungen sind auch möglich, weil die Bundes-ÖVP keine Partei mehr ist. Eine Partei im klassischen Sinne kennzeichnet sich durch demokratische Verhältnisse auch nach innen; also durch Diskussion, Kritik etc. Sebastian Kurz hat das aufgehoben, die Bünde- und Landesparteiobleute haben ihn ausdrücklich dazu ermächtigt, zu schalten und zu walten wie es ihm gefällt. Überraschend aus heutiger Sicht ist wohl nur, wie ernst sie das gemeint haben; Kurz darf auch den Staat umbauen.
Der Koalitionspartner. Die Grünen haben sich bis heute keine Strategie zurechtgelegt, wie sie mit einer ÖVP umgehen sollen, die Rugby spielt, obwohl Schach ausgemacht war. Immer wieder reagieren sie erst auf öffentlichen Druck hin und auch das nur zögerlich. Vergangene Woche hat Bundespräsident Alexander Van der Bellen in einer bemerkenswerten Rede herausgearbeitet, was Blümel in Bezug auf die Nicht-Lieferung von Akten gemacht hat. Zur Feststellung, er habe Verfassungsbruch begangen, war es nicht mehr weit (mehr dazu hier). Antwort der Grünen: Klubobfrau Sigrid Maurer meinte in einem Ö1-Mittagsjournal, eine schnellere Lieferung wäre gescheiter gewesen, für einen Rücktritt reiche das aber nicht. Als hätte es sich um einen Schönheitsfehler gehandelt. Nina Tomaselli, Fraktionschefin im U-Ausschuss, fand die Vorgangsweise wenig später „sehr, sehr peinlich“. Als hätte sich Blümel nicht frisiert oder einen türkisen Anzug getragen. Justizministerin Alma Zadic erklärte tags darauf, Blümel hätte früher liefern „sollen“. Also hätte er sich das aussuchen können – und nicht tun „müssen“. Zur Ministeranklage schreitet die Opposition, die dabei jedoch ohne Mehrheit bleiben wird.
Und natürlich müssen auch Medien mitspielen, damit sich Kurz und Co. hier so viel leisten können. Wobei im Grunde genommen schon der Anschein reicht, dem sie zum Teil, aber bei weitem nicht immer zwangsläufig ausgesetzt sind: Alexander Wrabetz braucht das Wohlwollen von Sebastian Kurz persönlich, wenn er im August als ORF-Generaldirektor wiedergewählt werden möchte. Das ist ein Problem für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Den Tageszeitungen bringen die staatlichen Inserate wiederum 91 Millionen Euro im Jahr – drei Boulevardblätter erhalten allein vom Kanzleramt mehr als eine Million Euro. Das schafft frei gewählte Abhängigkeitsverhältnisse.
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