ANALYSE. Sebastian Kurz und Gernot Blümel gehen aufs Ganze: Solange eine allfällige Anklage mit einem Freispruch endet, können sie sich eine solche nur wünschen.
Bundeskanzler Sebastian Kurz und Finanzminister Gernot Blümel verbindet einiges: Nicht nur die Parteizugehörigkeit und eine persönliche Freundschaft. Beide werden – aus unterschiedlichen Gründen – von einer Staatsanwaltschaft als Beschuldigte geführt; für beide gilt die Unschuldsvermutung und beide denken nicht daran, im Falle einer allfälligen Anklage zurückzutreten. Im Gegenteil: Solange sie mit einem Freispruch endet, können sie sich eine solche nur wünschen. Ja, man kann ihnen keinen größeren Gefallen tun, als sie in diesem Zusammenhang jetzt schon immer wieder aufzufordern, sich zu verabschieden.
„Nein, ich werde selbstverständlich nicht zurücktreten, nur weil es hier einen Strafantrag gibt“, erklärt Sebastian Kurz schon Anfang Mai, nachdem bekannt geworden war, dass er beschuldigt wird, im Ibiza-U-Ausschuss falsch ausgesagt zu haben. Damit eröffnete er auch schon eine Mythenbildung: Er, Kurz, hat Fragen der Abgeordneten nach bestem Wissen und Gewissen beantwortet. In Wirklichkeit geht es hier aber auch nicht darum; es handelt(e) sich vielmehr um einen konzertierten Versuch der Opposition, ihm eine Falle zu stellen und ihn zu stürzen.
In diesem Sinne betreibt etwa auch der ÖVP-Abgeordnete Andreas Hanger Mythenpflege, wenn er den Eindruck vermittelt, die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft gehe parteipolitisch motiviert gegen den Kanzler vor. Das entrückt das Ganze einer sachlichen Ebene. Und: Jeder, der auch nur wissen will, ob er, Kurz, im Falle einer Anklage gehen würde, setzt sich dem Verdacht aus, einen Rücktritt einfach nur aus politischen Gründen zu wollen.
Würde eine allfällige Anklage mit einem Freispruch enden – was durchaus möglich ist -, wäre das unter diesen Umständen der Befreiungsschlag, auf den der ÖVP-Chef angesichts fallender Umfragewerte schon seit Monaten hofft; und den er bei der Überwindung der Coronakrise nicht zusammenbringt. Motto: Alle waren gegen mich, aber Gerechtigkeit hat gesiegt; und ich habe gewusst, dass ich mir nichts zu Schulden kommen lassen habe.
Gernot Blümel agiert vielleicht sogar noch unverschämter: Bei ihm kommt die Geschichte mit dem Akten-(Nicht)-Lieferungen dazu. Er stellt sich hin und fordert von der Opposition eine Entschuldigung dafür, ihm vorzuwerfen, Unterlagen noch immer schuldig zu sein. Wie Kanzler Kurz einst seine, nimmt er nun Mitarbeiter des Finanzministeriums in Geiselhaft und lässt sie eine Vollständigkeitserklärung unterschreiben: Wenn von diversen „Chats“ des Ministers bzw. dessen „Familie“ bekannt ist, was dort unter Loyalität verstanden wird und wie mit unliebsamen Leuten umgegangen wird („Vollgas“ geben), werden sie kaum unterlassen, was von ihnen verlangt wird.
Die Mythenbildungen laufen – und stehen, wie es ihr Natur ist, im Gegensatz zur Wirklichkeit: Am 3. März hat der Verfassungsgerichtshof bestätigt, dass Blümel vom U-Ausschuss gewünschte Akten liefern muss. Als Auskunftsperson hat die Mitarbeiterin des Finanzministeriums, die damit betraut war, später erklärt, dass die Akten Mitte März soweit vorbereitet gewesen wären. Wobei das Kabinett von Blümel eine hohe Geheimhaltungsstufe und eine Zusammenstellung in Form von Papier-Ausdrucken gewollt habe. Nebeneffekt: So sind sie für den Ausschuss, der unter grüner Beihilfe demnächst beendet wird, kaum erfass- und verwertbar. Wie auch immer: Gerade, dass die Unterlagen nicht vergilbt sind. Blümel ließ es darauf ankommen, dass der Bundespräsident im Mai mit einer Exekution beauftragt wurde; erst da ließ er mit der Lieferung beginnen, die (vorerst) letzte Tranche kam vor wenigen Tagen, am 16. Juni.
Laut Meinungsforschungsinstitut Gallup sprachen sich (bereits) Ende Mai 65 Prozent von immerhin 1000 Befragten für einen Rücktritt von Gernot Blümel aus. Mehr können es kaum werden, weiter kann er kaum noch stürzen. 58 Prozent meinten wiederum, dass Kurz im Falle einer Anklage gehen müsste. Auch das sind bemerkenswert viele. Doch das unterstreicht nur, wie wichtig für beide ein wirklich großer Befreiungsschlag wäre.
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