Türkis-grüne Zumutung

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ANALYSE. Aus Mit- wird Gegeneinander. Im Hinblick auf große Herausforderungen, die noch warten, ist das verantwortungslos und gefährlich.

Türkis-grünes COVID-19-Krisenmanagement im Frühjahr 2020: Gemeinsame Pressekonferenzen bis zum Abwinken. Gefühlt täglich treten Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP), Vizekanzler Werner Kogler (Grüne), Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) und Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) hinter Plexiglasscheiben auf, um zu reden und sich zu erklären. Natürlich, Dissonanzen gab’s: Erster Kritik an Anschobers Legistik begegnete Kurz mit der Aufforderung, derlei nicht überzuinterpretieren. Als das wirkungslos blieb, schritt Kanzleramtsministerin Karoline Edtstadler ein, um die neue Volkspartei aus dem Wind zu nehmen: Anschober möge die Unstimmigkeiten „rasch klären“.

Alles in allem aber zogen ÖVP und Grüne an einem Strang, wie man es sich als Bürger erwarten kann in Zeiten wie diesen. Wäre ja noch schöner, wenn sie in der größten Krise nach dem Zweiten Weltkrieg gegeneinander arbeiten würden. Wobei: Was heißt hier „würden“? Es ist zunehmend so.

Es steht einem Bundeskanzler zu, allein eine große Rede in dem Sinne zu halten, dass er eine Woche lang alle Medien dafür einspannt, die Botschaft zu verbreiten, dass es ein Licht am Ende des Tunnels gebe und der Sommer 2021 angeblich wieder ein ziemlich normaler sein werde. Nachdem er bei solchen Gelegenheiten bisher aber immer den Koalitionspartner neben sich hatte, ist es lediglich auffallend, dass er nun zu einem Solo schritt.

Und überhaupt: Dass mehr dahinter steckt, dass in der türkis-grünen Koalition der Wurm drinnen ist, ist unübersehbar: Anschober betont unaufgefordert, dass seine Rede wenige Tage später keine Reaktion auf die von Kurz ist; sie sei lange geplant. Kurz nannte wiederum ganz andere Schwerpunkte (z.B. „Pakt gegen Alterseinsamkeit“) als Anschober (z.B. „Nationaler Aktionsplan gegen Armut“). Kurz wagt die Prognose, dass in einem Jahr zumindest epidemiologisch alles vorbei ist, Anschober ist zunächst vorsichtiger, betont keck, „kein Hellseher“ zu sein, um dann doch den Kanzler mit einer konkreteren Prognose zu überbieten: Im Jänner soll es Impfstoff geben.

Es ist zu offensichtlich, dass das nicht mehr aus einem Guss ist. Zumal wenige Stunden vor der Rede des Gesundheitsministers das Kanzleramt auch noch zu einer „Parallel-Pressekonferenz“ lud; zur Lage auf dem Arbeitsmarkt. Koordiniert ist das nicht. Im Gegenteil.

All das sind eher noch Unstimmigkeiten ohne größere Folgen. Sie haben jedoch das Potenzial, gemeingefährlich zu werden: Wenn z.B. das ÖVP-Regierungsdreiviertel gegen Anschobers Corona-Ampel mobbt, gibt es Chaos. Und überhaupt: Ist schon jetzt Schluss mit dem Miteinander schaut’s denkbar schlecht aus im Hinblick auf große Herausforderungen, die sich erst anbahnen: Ankurbelung der Wirtschaft, Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, Sanierung des Budgets, Ökologisierung des Steuersystems, Pflegereform etc.

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