ANALYSE. Moria: Was hier passiert, gehört seit 2017 zum „Besten“ der ÖVP und war daher absehbar. Umso mehr ist Werner Kogler und Co. anzulasten, dass sie schon bei den Regierungsverhandlungen nichts dagegen unternommen haben; im Gegenteil.
Bischöfe, schwarze Bürgermeister und wohl auch Bundespräsident Alexander Van der Bellen werden eher vergeblich an die türkise Regierungsriege von Sebastian Kurz appellieren, zumindest Frauen und Kinder aus dem Flüchtlingslager Moria nach Österreich kommen zu lassen. Doch dieses Kapitel ist hier schon abgehandelt worden. Was noch offen ist, ist die Rolle der Grünen: Würde es nach Vizekanzler und Parteichef Werner Kogler oder Klubobfrau Sigrid Maurer gehen, würde man diese Leute selbstverständlich aufnehmen; dann würde man dieser humanitären Verpflichtung unverzüglich nachkommen. Kogler, Maurer und andere Grüne betonen das unentwegt und berichten auch, auf Kurz und Co. einzuwirken.
Das ist gut. Andererseits: Dass es so weit kommen konnte, dass das offizielle Österreich hier gerade auch zu Weihnachten so mir nichts, dir nichts eine humanitäre Katastrophe zulässt, liegt politisch vor allem in der Verantwortung der ÖVP, indirekt aber halt auch der der Grünen: Sie haben schon im Zuge der Regierungsverhandlungen vor einem Jahr zu viel verabsäumt, zu viel ermöglicht.
„Das Beste aus beiden Welten“, lautete das Motto von Kurz, auf das sich Kogler eingelassen hat. Heute zeigt sich, wie verhängnisvoll das war. Beginnen wir zunächst bei ein paar Beispielen, die nichts mit Flüchtlingen zu tun haben: Die ÖVP darf auch die Bildungspolitik zu 100 Prozent bestimmen. Das sieht man gerade jetzt in der Krise: Eher als Schulen werden Lifte aufgesperrt. Kultur- und Gesellschaftspolitik wiederum war den Grünen nicht wichtig genug oder sie hatten (und haben) keine besonderen Vorstellungen dazu. Also läuft das irgendwie mit, schmiss Ulrike Lunacek das Amt der Staatssekretärin entnervt hin, tut es weh, wenn Kogler pflichtgemäß bedauert, dass Theater und Museen geschlossen werden – den Eindruck echter Betroffenheit vermittelt er dabei jedenfalls nicht. Nach der jüngsten Pressekonferenz twitterte Michael Sprenger, Innenpolitik-Chef der Tiroler Tageszeitung, spitz, Kogler, seines Zeichens auch Sportminister, sehe Österreich lieber als Ski(sport)nation: „Sorry Mozart, Lassnig, Jelinek, Handke, Bernhard und all ihr Meisterinnen und Meister der Kunst.“
Das Beste aus der grünen Welt soll die Klimapolitik sein. Sie aber wird von Türkisen erstens schon bekämpft, wenn sie auch nur aus einer kleinen NoVA-Novelle besteht, und ist zweitens so vage verankert im Regierungsprogramm, dass man sich über die Naivität, die hier zum Ausdruck kommt, ausschließlich wundern kann: Man wird doch nicht erwarten, dass die Türkisen zu Konkretisierungen bereit sind, wenn es schon schwer ist, sie für das Allgemeine zu gewinnen? Zumindest Vorsicht wäre daher notwendig gewesen – und eben die Fixierung möglichst klarer Maßnahmen im Regierungsprogramm. Doch das ist erledigt. Stand heute wäre es schon bemerkenswert, wenn es auch nur zu einer Arbeitsgruppe zur Abschaffung des Dieselprivilegs kommen würde; von einer größeren, also wirkungsvollen CO2-Besteuerung aufgrund der Wirtschaftskrise gar nicht zu reden.
Zurück zur Flüchtlingspolitik: Was die Grünen als Regierungspartei mitverantworten müssen zu Moria, war so absehbar wie Weihnachten und Silvester. Es gehört seit 2017 nicht nur „zum Besten“ der ÖVP, sondern auch zum Schlüssel des Erfolgs von Sebastian Kurz. Ohne Absage an Flüchtlinge mit dem Zusatz, dass es hässliche Bilder geben werde, hätte er nicht hunderttausende Ex-FPÖ-Wähler gewonnen, ja wäre er kaum Kanzler geworden.
Das Regierungsprogramm ermöglicht es ihm, das fortzusetzen. Zumal es ihm bei dem, was darin so schwammig als „akuter Handlungsbedarf“ bezeichnet wird, ausdrücklich erlaubt wird, in den koalitionsfreien Raum auszuweichen und zum Beispiel mit den Freiheitlichen gemeinsame Sache zu machen. Türkis-Blau mit – hier gewissermaßen schon vorsorglich festgelegter – Duldung der Grünen sozusagen.
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