Hü, hott, dritte Welle

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ANALYSE. In der Coronakrise entwickelt sich Österreich auch im internationalen Vergleich immer katastrophaler. Durch einen baldigen Start in die Wintersaison droht alles nur noch schlimmer zu werden.

Bis zum Sommer hatten Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) ein starkes Argument für ihre Methoden, die Pandemie zu bekämpfen; sie mussten nur auf andere Länder verweisen. Heute tun sie das nicht mehr. Aus gutem Grund: Vor zwei Wochen gab es kein Land auf der ganzen Welt, das so viele bestätigte Neuinfektionen gemessen an der Bevölkerung verzeichnete. Und jetzt gibt es kaum noch ein Land, das so viele Todesopfer zu beklagen hat. Thomas Langpaul, ORF-Korrespondent in Washington, hat auf Twitter gerade auf eine Statistik des „Europäischen Zentrums für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten“ verwiesen, wonach es im Moment sogar zwei Mal mehr Opfer sind als in den USA von Noch-Präsident und Corona-Leugner Donald Trump. Wobei das Ärgste überhaupt ist, dass die amerikanische Kurve relativ flach bleibt, während die österreichische steil nach oben geht. Das lässt Böses befürchten.

Die Bekämpfung der Pandemie ist eine Angelegenheit aller 8,9 Millionen Menschen, die in Österreich leben. Die Regierung trägt jedoch nicht nur besondere Verantwortung, sie hat auch außerordentliche Möglichkeiten. Sebastian Kurz muss etwa nur ankündigen, dass er eine Pressekonferenz gibt, schon ist er live auf Sendung und kann sich (potenziell) an die 8,9 Millionen Menschen wenden. Im Übrigen gewährt er sich und seinen Ministern üppige PR-Budgets, die jetzt auch noch aufgestockt werden sollen. Solche Möglichkeiten hat sonst niemand.

Umso verhängnisvoller ist, dass die Regierung vollkommen strategielos dahinwerkt: Zuerst ist es ihr gelungen, die Bevölkerung vom Ernst der Lage zu überzeugen, schon wurde das Maskenverbot wieder aufgehoben; kaum hieß es, das Virus komme mit dem Auto über die Grenze nach Österreich, wurde von Kurz ein „normaler“ Sommer 2021 in Aussicht gestellt; kaum hatte Anschober erklärt, dass sich die Zahlen stabilisieren würden, vervielfachten sie sich; kaum sah sich die Regierung gezwungen, einen härteren Lockdown als etwa Italien zu verhängen, werden nun Massentests und die Eröffnung des Skibetriebs auf Weihnachten hin angekündigt. Könnte heißen: Entspannt Euch, werdet sorglos!

Bei alledem darf man nie vergessen, dass das Infektionsgeschehen unberechenbar ist. Doch gerade weil das so ist, muss man sich wundern, dass Rudolf Anschober in all den Monaten seit März nicht gelernt hat, ausschließlich festzustellen, was im Moment ist und im Übrigen darauf hinzuweisen, dass man für die Zukunft nichts sagen könne. Oder Kurz, dass es absurd ist, bei Kilometer 20 des Marathons vom Ziel („Licht am Ende des Tunnels“) zu reden. Das eine führt zu einer Hüt-Hott-Politik, das andere zu Enttäuschungen – und beides zusammen macht die 8,9 Millionen Menschen draußen verrückt: Heute so, morgen so, man kennt sich nicht mehr aus und hört daher allenfalls nur noch zu, um sich zu ärgern.

Die Regierung arbeitet unter Hochdruck an der Fortsetzung ihres Unglücks (und des Unglücks von ganz Österreich): Die Massentests sollten zum Kurz’schen Befreiungsschlag werden, der vergessen lässt, dass die Spitäler voll sind und Contact Tracing nicht mehr so funktioniert, wie es funktionieren sollte. Ausgerechnet ÖVP-geführte Länder im Westen korrigierten das, so gut es geht, indem sie die Tests auf Anfang Dezember vorverlegen, um verhängnisvolle Nebenwirkungen zu reduzieren: Erstens, dass sich viele nicht testen lassen, um Weihnachten im Falle eines positiven Ergebnisses nicht einsam, also ganz allein, verbringen zu müssen. Und zweitens, dass ein negatives Ergebnis am Tag vor dem Fest natürlich dazu verleiten könnte, es mit Angehörigen und in weiterer Folge auch besten Freunden und Bekannten zu feiern.

Das Drama ist noch nicht zu Ende. Österreich wird bis zu den Weihnachtsferien kaum auf einen Inzidenzwert von weniger als 50 kommen (nicht nur wegen der Massentests, die die Zahl vorübergehend wieder erhöhen werden); das gegenwärtige Niveau ist schlicht viel zu hoch. Auf der anderen Seite ist der Druck, den Skibetrieb starten zu lassen, gigantisch, auch wenn absehbar ist, dass Deutsche ausbleiben werden.

Das ist zu viel für die Regierung: Sie müsste jetzt sagen, wir gehen den schwedischen, den eidgenössischen oder wenigstens irgendeinen Weg. Wir sehen nicht nur gesundheitliche Dimensionen, sondern auch wirtschaftliche. Im Wissen, dass das Opfer kosten wird, verzichten wir auf weitreichende Beschränkungen, damit sogenannte Kollateralschäden nicht außer Kontrolle geraten. Damit würde aber auch das Zugeständnis einhergehen, das die bisherigen Methoden nicht auf Dauer angelegt waren. Also wird sie nie zu einer Strategie kommen.

Die Lifte werden aufsperren. Und natürlich wird es Warteschlangen und da und dort auch feucht-fröhliche Runden geben; ausschließlich Skifahren war gestern. Daraus folgt wiederum ein Szenario, das man auf dem Plan haben sollte: Wie schon bei der zweiten Welle, bei der das exponentielle Wachstum ja schon im Frühsommer losgegangen ist, werden Kurz und Anschober wieder so lange wie möglich wegschauen, bis es nicht mehr anders geht, und sie einen weichen, harten, jedenfalls aber schmerzlichen dritten Lockdown verkünden müssen.

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