Grüner (Über-)Mut

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ANALYSE. Koalition: Lange haben sich Kogler und Co. allerhand bieten lassen. Über Gewessler drehen sie den Spieß nun um und gehen aus nachvollziehbaren Gründen aufs Ganze.

Abgesehen davon, dass es zwischendurch auch eine digitale Revolutionen und mehrere Zäsuren darüber hinaus gegeben hat, übertreibt Lukas Hammer, Klima- und Energiesprecher der Grünen, wohl ein bisschen: „Mit dem Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz schreiben wir Geschichte und schaffen die größte Wende seit der industriellen Revolution“, behauptet er. Seine Parteikollegin, Umweltministerin Leonore Gewessler, spricht etwas bescheidener von einem guten Tag für den Klimaschutz: Eine Milliarde Euro jährlich soll in den Ausbau erneuerbarer Energie gesteckt werden, sodass Österreich seinen Bedarf bis 2030 ausschließlich daraus abdecken kann. Das hat der Nationalrat am Mittwoch mit türkis-grün-rot-pinker Mehrheit beschlossen.

Der Weg ist noch nicht das Ziel, könnte man in aller Bescheidenheit einwenden: Es wird sehr viel Geld in die Hand genommen; und es muss erst investiert werden. Was bei örtlichen Widerständen gegen Wasserkraftwerke und selbst Windparks eine eigene Aufgabe werden wird.

Andererseits aber lebt Politik von großen Zielen. Sie allein lassen sich oftmals schon als ebensolche Erfolge verkaufen. Und das lassen sich die Grünen nicht nehmen. Aus nachvollziehbaren Gründen: Erstens versuchen sie all jenen zu begegnen, die behaupten, sie würden in der Koalition nur eine devote Rolle gegenüber einer allmächtigen ÖVP spielen. Zweitens haben sie schon auch Ablenkungsbedarf, haben sie zeitgleich mit dem Beschluss des Erneuerbaren-Gesetzes doch im Sinne von Sebastian Kurz und Co. eine Verlängerung des Ibiza-U-Ausschusses verhindert.

Und drittens brauchen sie für den Fall nicht ganz ausgeschlossener Neuwahlen doch dringend etwas Vorzeigbares: Bisher hat sich das eher nur auf ein ohnehin noch nicht endgültig fixiertes 1-2-3-Ticket beschränkt; dafür, so die Erzählung ihrer größten Kritiker, hätten sie sogar die Nicht-Aufnahme von Flüchtlingen aus Moria oder die Abschiebung gut integrierter Schülerinnen aus Wien geschluckt.

Jetzt können sie zumindest behaupten, eine Klimawende eingeleitet zu haben. Wobei: Zumindest zwei ungleich größere Herausforderungen in diesem Zusammenhang kommen erst im Herbst. Eine hat sich Gewessler selbst gebastelt, indem sie bei Straßenprojekten, von der S18 in Vorarlberg bis zum Lobautunnel in der Bundeshauptstadt, die Stopp-Taste drückte und einen Klima-Check ankündigte. Das wird sie politisch – gegen Rote und vor allem auch Schwarz-Türkise – kaum durchbringen in dem Sinne, dass sie am Ende ernst macht und sagt, diese Straßen werden nicht errichtet.

Zumindest aber setzt sie ein Signal, das bundesweit gehört wird, und schafft sich Manövriermasse für die noch größere Herausforderung, die nach dem Sommer ansteht: die Ökosteuer-Reform, also eine CO2-Bepreisung. Auch wenn Finanzminister Gernot Blümel gerade wieder signalisierte, dass die ÖVP hier zu etwas bereit sei, was sich sehen lassen könne, fehlt die Vorstellungskraft dazu: Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP) hat sich längst gegen eine Abschaffung des Diesel-Privilegs gestellt, Wirtschaftskammer-Generalsekretär Karlheinz Kopf (ÖVP) teureren Sprit als „ideologiegetriebene Belastungsfantasie“ abgelehnt und Sebastian Kurz (ÖVP) erst vor wenigen Tagen eine Entlastung kleiner und mittlerer Einkommensbezieher angekündigt. Ergebnis: Weder Bauern (für die Köstinger spricht) noch Unternehmen (Kopf-Klientel) sollen mehr bezahlen für Ressourcenverbrauch, eine Masse (Kurz-Zielgruppe) soll überhaupt weniger Steuern abliefern. Das passt nicht zusammen mit einer wirkungsvollen CO2-Bepreisung.

Im besten Fall für die Grünen baut Gewessler bei den Straßenprojekten etwas auf, womit sie den Druck erhöhen können. Motto: Okay, S18 und Lobautunnel können errichtet werden, wenn eine CO2-Bepreisung kommt. Im schlimmsten Fall setzen sie sich weder da noch dort durch. Anderseits: Mit der angeblich „größten Wende seit der industriellen Revolution“ haben sie sich jetzt beim Erneuerbaren-Gesetz ohnehin schon eine Bilanz zurechtgelegt, die nicht mehr steigerbar ist.

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