ANALYSE. Von Affäre zu Affäre, von Krise zu Krise zeigt sich, wie viel Handlungsbedarf in Österreich bestehen würde. Weder Nehammer, der tun, noch Rendi-Wagner, die fordern könnte, werden dem gerecht. Genauer: Noch nicht.
Schlicht haarsträubend sind Berichte aus dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss zu Korruptionsaffären der vergangenen Jahre. Die „Kleine Zeitung“ berichtete in ihrem Ausschuss-Newsletter am Mittwochabend etwa von Bestrebungen, Polizisten gegen die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) ermitteln zu lassen. Und zwar ohne Indizien. Das hat, bitte schön, etwas polizeistaatliches.
Ebenfalls am Mittwoch setzte die Bundesregierung die Impfpflicht aus. Sie ist politisch motiviert eingeführt worden und wird politisch motiviert wohl auch nie wieder in Kraft gesetzt werden. Fakten tun nichts zur Sache. Daher werden sie vernebelt: Natürlich erreicht die Zahl der Neuinfektionen gerade ein besorgniserregendes Niveau. Was aber bedeutet das? Auch im dritten Jahr der Pandemie ist unbekannt, wie viele Menschen wegen Corona jeden Tag ins Spital eingeliefert werden müssen; davon, wie viel Personal gerade zur Verfügung stehen würde, ist schon gar nichts bekannt. Genau das aber wären zwei (von vielen) Faktoren, die relevant wären.
Österreichische Politik hat kein Problem damit, dass man (fast) nichts weiß. Das erleichtert es ihr, eher nur willkürlich zu tun, was gefällig erscheint. Wie bei der Inseratenvergabe aus Steuergeldern zur Pflege wohlwollender Berichterstattung.
„Was gerade passt“ ist auch das, was die Sicherheits- und Verteidigungspolitik leitet. Das ist in den vergangenen Jahren ein Bereich gewesen, der keine Stimmen brachte. Mit internationalem Engagement im Sinne der noch vorhandenen Neutralität glaubte man, keine Wahl zu gewinnen, mit der Forderung, der NATO beizutreten, hätte man eher stark verloren. Also ließ man beides sein und fand jetzt in Panik zu keiner glaubwürdigen Linie. Siehe Neutralitätsdebatte, die der Kanzler eröffnet und nach wenigen Tagen wieder beendet hat. Beendet ist in Wirklichkeit jedoch gar nichts, weil diese Frage geklärt werden muss.
Bei alledem rächen sich zwei, drei Entwicklungen: Zum einen diskutiert man in Österreich seit geraumer Zeit nicht einmal mehr über grundsätzliche Reformen. Es erscheint schlicht sinnlos, weil sich ohnehin nichts ändert. Bis in die 2000er hinein gab es zumindest hin und wieder Vorstöße, das Verhältnis zwischen Bund und Ländern zu bereinigen. Oder das Schulsystem auf die Höhe der Zeit zu bringen. Oder Pensionen nachhaltig zu sichern. Oder eben die Neutralität aufzugeben und der NATO beizutreten. Unabhängig vom Inhalt waren das immerhin Bemühungen, etwas weiterzuentwickeln. Irgendwann ist derlei jedoch zu aussichtslos geworden, ist es zu einer Resignation gekommen.
Parallel dazu zog eine Politikergeneration auf, die nach außen hin bloß vorgab, nötige Veränderungen zu wollen, in Wirklichkeit aber allenfalls nur Symbolisches inszenierte und sonst ausschließlich Eigeninteressen verfolgte. Werner Faymann (SPÖ) steht für den Übergang zu dieser Genration, Sebastian Kurz (ÖVP) war Teil dieser Generation.
Und Karl Nehammer (ÖVP)? Schwer zu sagen. Im ersten Vierteljahr seiner Amtszeit hat nicht verraten, ob er Größeres verändern möchte. Natürlich: Transparenz hat er angekündigt, bei der Parteienfinanzierung zeichnen sich Schritte ab, beim Amtsgeheimnis jedoch gar keine.
Offenbar muss der Druck steigen. Grüne und Neos, die am ehesten und zum Teil auch einander widersprechende Reformvorstellungen in den unterschiedlichsten Bereichen haben, können allein nicht dafür sorgen. Freiheitliche beschränken sich unter Herbert Kickl (FPÖ) auf Fundamentalopposition.
Türkise wie Sozialdemokraten verlassen sich zu sehr darauf, ohne größere Anstrengungen auf Platz eins aus der nächsten Nationalratswahl hervorzugehen. Sozialdemokraten, weil sie glauben, dass Türkise stark genug verlieren, Türkise, weil sie davon ausgehen, dass die Sozialdemokraten nicht stark genug werden, wenn’s darauf ankommt. Das sorgt für ein Gleichgewicht der Ambitionslosigkeit.
Das sollte sich ändern, die beiden müssen davon ausgehen, dass sie ohne größere Anstrengungen unterliegen. SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner sollte genauso wie Karl Nehammer gezwungen sein, Antworten zu dringlichen Fragen vorzulegen, für die sie dann gewählt werden. Sonst bleibt’s, wie es ist.
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