Für Gewessler wird’s gefährlich

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ANALYSE. Letztlich wird wohl ein Importstopp für russisches Gas kommen. Österreich will es nicht wahrhaben, es ist nicht darauf vorbereitet. Ein doppeltes Versagen, für das diejenigen, die die größte Verantwortung tragen, ein prominentes Bauernopfer brauchen.

Montag, 4. April: Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) sagt zu einem Importstopp für russisches Gas: „Das kommt nicht in Frage.“ Begründung: Es würde sich um „keine intelligente Maßnahme“ handeln, so Nehammer auf „Puls24“.

Mittwoch, 6. April: Ein Importstopp von russischem Öl und letztlich auch Gas sei unumgänglich, um den Angriffskrieg auf die Ukraine zu beenden, erklärt EU-Ratspräsident Charles Michel in Brüssel. Österreich bekräftig das „Kommt nicht in Frage“. Genauer: Energieministerin Leonore Gewessler (Grüne) verweist auf die missliche Lage, wonach die Abhängigkeit von den Lieferungen ganz einfach zu groß sei. 80 Prozent des Gases, das hierzulande verbraucht wird, kommt bekanntlich aus Russland.

Die Grüne weiß wohl, warum sie einmal mehr so deutlich wird: Es geht nicht nur darum, dass sie für die Energieversorgung zuständig ist, sondern vor allem auch darum, dass ihr ein Importstopp auf den Kopf fallen könnte; dass sie – wie bisherige Gesundheitsminister in der Coronapandemie – für all das Versagen und all die Folgen verantwortlich gemacht werden wird, die bei weitem nicht nur sie allein zu verantworten hat.

Österreich taumelt, wenn es um den Krieg geht: Einmal findet der Bundeskanzler klare Worte, verurteilt das Vorgehen Russlands ebenso unmissverständlich wie er Solidarität mit der Ukraine bekundet, ja er macht sich nun sogar auf zu einem Besuch von Präsident Wolodymyr Selenskyj in Kiew. Daneben aber gibt es so viel Widersprüchliches: Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) hat sich nicht getraut, Selenskyj zu einer Rede an die Abgeordneten einzuladen. Sozialdemokraten hatten Vorbehalte, Freiheitliche sprachen sich dagegen aus. Sobotka hätte sich – kraft Geschäftsordnung – darüber hinwegsetzen können. Er hat es nicht getan. Im Unterschied zu seiner Vorsitz-Funktion vor dem ÖVP-U-Ausschuss hat er sich in diesem Fall auf eine fehlende Einstimmigkeit hinausgeredet. Peinlich.

Österreich hält sich bei der Ausweisung russischer Diplomaten zurück, obwohl sie traditionell sehr zahlreich sind für das kleine Land. Was an die alte Behauptung erinnert, Wien sei eine Wohlfühloase für die Geheimdienstwelt, hier werde allerhand geduldet. Also ist das eines ihrer Zentren.

Und Österreich ist eben auch nicht zu einem Gas-Importstopp bereit. Bemerkenswert ist, dass man diesbezüglich nicht einmal blufft. Nehammer, Gewessler und andere signalisieren Moskau ganz offen, dass man auf die Lieferungen unter gar keinen Umständen verzichten wolle. Obwohl Wladimir Putin mit seiner gesichtswahrenden Lösung zur Doch-nicht-wirklich-in-Rubel-Zahlung für die Lieferungen umgekehrt gezeigt hat, wie abhängig er davon ist, liefern zu dürfen.

Natürlich: Ohne Gas steht Österreich still, droht vor allem eine größere Wirtschaftskrise. Ein Drittel des Verbrauchs entfällt auf private Haushalte. Und das eher im Winter, der vorbei ist. Zwei Drittel gehen an die Industrie, ganzjährig. Ohne Gas müssen weite Teile den Betrieb einstellen. Andererseits: Will man wirklich erreichen, dass Russland den Krieg beenden muss? Ist man wirklich der Überzeugung, dass das eine Frage ist, die Einfluss auf die Zukunft von ganz Europa hat? Dann wird man zu dieser Sanktion schreiten müssen, die einem auch selbst sehr wehtut.

Verantwortlich dafür, dass ein Gaslieferstopp so katastrophale Folgen für Österreich hätte, sind all jene, die das Land in eine solche Abhängigkeit gegenüber Russland getrieben haben; die nicht längst die Speicher besser gefüllt und zu spät angefangen haben, Alternativen zu forcieren. Das ist so schwerwiegend, dass es allemal Gegenstand eines eigenen Untersuchungsausschusses sein könnte, der sich darum bemüht, die Verantwortlichkeiten präzise herauszuarbeiten.

Grüne stehen als Regierungspartei und als diejenigen, die mit Leonore Gewessler die Energieministerin stellen, mit in der Verantwortung: Man kann sich wundern, dass Gewessler etwa nur ohnmächtig wissen lässt, dass man die Entwicklungen beobachte, darüber hinaus aber keine Pläne vorlegt, die zumindest erahnen lassen, wie man im Falle des Falles vorgehen würde. Das lässt Schlimmes befürchten. Man könnte jede Wette eingehen, dass letzten Endes allein ihr alle Schuld für diverse Missstände umgehängt wird; dass sie zum Bauernopfer gemacht wird.

Wie eben Rudolf Anschober und Wolfgang Mückstein als Gesundheitsminister: Die beiden haben schon auch selbst versagt, sind auch an sich selbst gescheitert. Türkise haben das aber gerne zugelassen, ja gefördert, um selbst nicht zu sehr Schaden zu nehmen. Das können sie. Obwohl etwa Sebastian Kurz als Kanzler (laut Bundesministeriengesetz) ausdrücklich auch eine Gesamtverantwortung für die Krisenbewältigung gehabt hätte; oder Verfassungsministerin Karoline Edtstadler mit ihrem Verfassungsdienst allemal zu ordentlichen Verordnungen beitragen könnte. Sie haben es geschafft, allein Anschober und Mückstein als die großen Versager dastehen zu lassen. Johannes Rauch ist der nächste auf der Liste.

Energiepolitik ist etwas langfristiges. Zustände von heute können auch von daher nicht nur seit zwei Jahren Regierende zu verantworten haben. Da wird man sich auch die Rolle all jener Schwarzen, Türkisen, Roten und Blauen näher anschauen müssen, die in den vergangenen Jahrzehnten am Ruder waren. Davon sollte man sich durch keine Ablenkungsversuche abbringen lassen.

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