ANALYSE. Österreich hat keinen Trump, muss aber aufpassen, dass es eines Tages nicht doch einen bekommt.
Das offizielle Österreich hat umgehend und angemessen auf die Erstürmung des Kapitols durch Anhänger des scheidenden US-Präsidenten Donald Trump reagiert: Bundespräsident Alexander Van der Bellen sowie Bundeskanzler Sebastian Kurz und Außenminister Alexander Schallenberg (beide ÖVP) haben sich nicht nur besorgt gezeigt, sondern diesen Akt auch als Angriff auf die Demokratie verurteilt und betont, dass eine friedliche und geordnete Machtübergabe selbstverständlich und möglich sein müsse.
Und um auch das gleich festzuhalten: In Österreich gibt es heute keinen entscheidenden Politiker wie Trump, dem zuzutrauen ist, einen Mob zu Methoden im Sinne seines Machterhalts anzustiften, wie man sie eher nur aus Diktaturen oder sogenannten Bananenrepubliken kennt.
Zurücklehnen sollte man sich trotzdem nicht. Was in Washington vorgefallen ist, ist eine Warnung: So weit kann es kommen, wenn politische Prozesse und staatliche Institutionen über Jahre hinweg diskreditiert werden; wenn Repräsentanten zusammengefasst als „Establishment“ niedergemacht werden und jeglicher Diskurs vergiftet wird; wenn Gruppen gegeneinander aufgehetzt und Entscheidungen bis hin zu höchstgerichtlichen respektlos behandelt werden. Dann ist Demokratie irgendwann so beschädigt, dass Politiker nicht mehr als Politiker und Parteien nicht mehr als Parteien wahrgenommen werden wollen; und dass im schlimmsten Fall eben eine Mehrheit einen Mann wie Trump unterstützt, um dem System das zu geben, was es ihrer Ansicht nach verdient hat: das Letzte.
Dazu kommt es nicht von heute auf morgen. Das dauert, hier hat eines zum anderen geführt und daher sollte man auch über österreichische Verhältnisse besorgt sein. Fünf Beispiele.
- Nicht erst mit der Krise und nicht erst mit Türkis-Grün ist eine Art Notstandsgesetzgebung zur Regel geworden. Die gängige Formulierung, die Regierung habe ein Gesetz beschlossen, ist zwar nicht korrekt, kommt aber nicht irgendwoher. Aus Entwürfen werden ohne ernsthafte, öffentliche Begutachtung Vorlagen gemacht, die dann von Abgeordneten der Regierungsfraktionen bloß durchgewunken werden. Das ist eine doppelte Unverschämtheit gegenüber dem Souverän: Zunächst wird er nicht eingebunden; dann bringen sich seine Vertreter nicht selbstbewusst ein, sondern wirken ausschließlich als Regierungsgehilfen. Hände falten, Goschn halten.
- Verantwortlichkeiten werden vernebelt. Dabei helfen Amtsgeheimnis, Kompetenzdschungel und Schamlosigkeiten, wie sie auch im Rahmen des unter anderem durch Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) kontrollierten Ibiza-U-Ausschuss sichtbar werden.
- Eine Verfassung existiert ebenso wie ein Verfassungsgerichtshof, sie aber werden nicht überbewertet, um es vorsichtig auszudrücken. Auch das ist nichts Neues, es wird in der Pandemie nur öfter demonstriert, wenn es etwa heißt, dass dann, wenn die unterschiedlich tickenden Höchstrichter entscheiden, ohnehin alles erledigt sei, ihre Einschätzung also egal ist. Jörg Haider hat sich einst geäußert, wie es Trump nicht mieser tun könnte. Der Verfassungsgerichtshof sei politisch korrumpiert, sagte er, pfiff aus das Ortstafelurteil und stellte über den damaligen VfGH-Präsidenten Ludwig Adamovich fest: „Wenn einer schon Adamovich heißt, muss man zuerst einmal fragen, ob er überhaupt eine aufrechte Aufenthaltsberichtigung hat.“ Das ist nicht Geschichte: Haider musste nie dafür büßen, womit seine Saat geblieben ist.
- Politik ist Stimmungsmache und mehr denn je ein pauschales Gegeneinander-ausspielen gesellschaftlicher Gruppen: Ausgerechnet Integrationsministerin Susanna Raab (ÖVP) problematisierte im vergangenen Sommer das bloße Vorhandensein fremder Umgangssprachen; der „Krone“ war das zu dumm. Nicht-Österreicher gelten für Raab und Ihresgleichen einfach nur als Migranten, egal ob es sich um Flüchtlinge oder hochqualifizierte, gezielt angeworbene Zuwanderer handelt. Von Muslimen gar nicht zu reden. Der Kampfbegriff „politischer Islam“ stellt sie unter Generalverdacht, er macht sich nicht einmal die Mühe, extremistische Strömungen herauszuarbeiten (was wirklich nötig wäre).
- Nicht erst unter Türkis-Grün, aber mehr denn je läuft politische Kommunikation direkt und indirekt über Abhängigkeitsverhältnisse bzw. millionenschwere Inserate ab. Auch damit wird Demokratie mit Füßen getreten: Das geht nicht nur auf Kosten journalistischer Qualität, sondern auch auf Kosten von Stimmen, die vielleicht kritisch im Sinne der Regierenden sind und die sich unter diesen Umständen noch schwerer tun, wahrgenommen zu werden.
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