ANALYSE. PR-Gag „Krisenzentrum“: Informationsdefizite und Durchsetzungsprobleme werden im vierten Untergeschoss von Nehammers Innenministerium nicht kleiner. Eher müssten sie gelöst werden.
Das Signal ist zweischneidig: Bei ihrem Sonderministerrat zum Nationalfeiertag hat die Bundesregierung angekündigt, das Krisenmanagement neu aufstellen zu wollen. Eine Änderung von Real- und Verfassung bleibt jedoch aus. Also ist der Plan, im vierten Untergeschoss des Innenministeriums ein 2000 Quadratmeter großes Krisenzentrum zu errichten, eher nur Inszenierung, wie sie unter Altkanzler Sebastian Kurz (ÖVP) gepflegt worden ist. Oder wie eine Hard- ohne Software, die zum Funktionieren des Ganzen unverzichtbar ist.
Bis zu drei Krisen sollen in dem Zentrum gleichzeitig „gemanagt“ werden, wie es heißt. Ob Terroranschlag, Atomunfall, Blackout, Cyberattacke oder Pandemie. Womit das Stichwort gefallen wäre, das zur ersten Ernüchterung überleitet: In der Corona-Pandemie hat es nicht an einem Regierungschef gemangelt, der den Eindruck machen wollte, alles unter Kontrolle zu haben und sich um Konkretes zu kümmern; bis hin zur Impfstoff-Beschaffung. Es gibt vielmehr ein umfassendes Informationsdefizit und ein erhebliches Durchsetzungsproblem.
So wenig die Bürgerinnen und Bürger zunächst darüber wussten, wie sie sich am besten schützen, so lückenhaft sind bis heute Informationen des Bundes. Simples und hier schon oft angeführtes Beispiel ist die Lage in den Spitälern. Dafür sind die Länder zuständig, diesbezüglich gibt es keine Daten über die täglichen Aufnahmen und Entlassungen, geschweige denn die Schwere der Erkrankungsfälle. Erfasst und ausgewiesen werden ausschließlich die Zahl aller Patienten und die der Intensivpatienten. Und selbst dazu gibt es immer wieder Sprünge, die auf unregelmäßige Aktualisierungen schließen lassen.
Das ist verhängnisvoll: Mit Informationslücken kann es kein bestmögliches Krisenmanagement geben. Schlimmer: Man mag sich gar nicht ausdenken, was wäre, wenn zu einer Pandemie auch noch ein Blackout dazukommen würde. Dann wäre unter Umständen nicht einmal eine unregelmäßige Datenübermittlung möglich.
Wichtiger als ein Krisenzentrum mit vielen Monitoren wäre zunächst eine Bund-Länder-Einigung über eine Kompetenzbereinigung oder zumindest eine Vereinbarung zum Informationslückenschluss. Das wäre das eine. Das andere: Ebenfalls in der Pandemie hat man gesehen, dass der Landeshauptmann oder die Landeshauptfrau als Organ der mittelbaren Bundesverwaltung zwar zu tun hätte, was der Gesundheitsminister anschafft, dass dieser sich jedoch hütet, etwas anzuschaffen, was ihnen missfällt.
Als der damalige Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) härtere Maßnahmen in Tirol wollte, wurde er von dortigen Abgeordneten im Sinne von Landeshauptmann Günter Platter (ÖVP) gewarnt: Sie würden im Nationalrat dagegen stimmen. Im konkreten Fall hätte das darauf hinauslaufen können, dass Anschober, aber natürlich auch die gesamte Regierung, auf parlamentarischer Ebene eine Mehrheit gegen sich gehabt hätten. So viel zum Durchsetzungsproblem, das durch ein Krisenzentrum auch nicht behoben wird.
Bei den gegenwärtigen Verhältnissen könnte es eher nur noch schwieriger werden: Bisher war der Kanzler zugleich auch Vorsitzender der stärksten Partei und Nationalratsfraktion. Jetzt sind die Funktionen getrennt, braucht Alexander Schallenberg (Kanzler) die Unterstützung von Sebastian Kurz (ÖVP-Chef und Klubobmann). Gegen diesen geht gar nichts.
Zunächst eher nur verändert wird durch ein Krisenzentrum im Innenministerium in Verbindung mit dem zusätzlich geplanten Krisenkoordinator im Bundeskanzleramt das Gefüge in der türkis-grünen Koalition: In der Pandemie bleibt natürlich der grüne Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (ressort-)verantwortlich. Stärker als bisher würde jedoch der Eindruck vermittelt werden, dass die Schaltstelle nicht in seinem Haus untergebracht ist, sondern dass er eher nur eine untergeordnete Rolle spielt. Wie ein Staatssekretär.
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