Auch Sachslehner fällt Nehammer in den Rücken

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ANALYSE. In der Krise wäre der Kanzler vielfach gefordert. Das zeigt ein Blick in das Bundesministeriengesetz. Nicht nur er selbst erschwert sich das jedoch.

Vielleicht wird sich der Kanzler ja nach dazu äußeren und die Aussage vielleicht sogar persönlich bedauern. Wenn es so weitergehe mit der Teuerung, bleibe nur noch die Entscheidung zwischen „Alkohol oder Psychopharmaka“, hat er am Wochenende auf dem Landesparteitag der Tiroler ÖVP gesagt. Seither kann man sich erst recht fragen, ob Karl Nehammer geeignet ist, Österreich durch schwere Zeiten zu führen.

Auch die niederösterreichische Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) scheint zu zweifeln. Sie würde das so natürlich nie bestätigen, ihre Aussage gegenüber der „Krone“ lässt jedoch darauf schließen: „Es braucht eine klare Führung in der Regierung“, sagte sie. Gemeint ist wohl Nehammer, von Mikl-Leitner bekommt er de facto ein „Nicht genügend“.

Wobei es notwendig ist, präzise zu sein. Der Kanzler ist in der Regierung einer unter Gleichen. Sebastian Kurz hat 2017 vorgegeben, das ändern zu wollen und eine „Richtlinienkompetenz“ gefordert. Im Nachhinein kann man davon ausgehen, dass er geblufft hat: Nach Jahren des Stillstandes (aus unterschiedlichen Gründen) wollte er damit Veränderungs- bzw. Entscheidungsfreudigkeit signalisieren. Mit einer Richtlinienkompetenz hätte er jedoch keinen Koalitionspartner gefunden. Man stelle sich vor, er hätte Justizministerin Alma Zadic sagen können, was sie in Bezug auf die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft zu tun hat. Das hätten wohl nicht einmal die Grünen hingenommen, die sehr viel schlucken.

Einer unter Gleichen bedeutet jedoch nicht, dass der Kanzler keine herausragende Rolle zu spielen hat, wie ein Blick in das Bundesministeriengesetz zeigt. Er muss vor allem koordinieren; das hat nur indirekt etwas mit Führen zu tun. Beispiele: „Hinwirken auf die Wahrung der Einheitlichkeit der allgemeinen Regierungspolitik“; „Hinwirken auf das einheitliche Zusammenarbeiten zwischen Bund und Ländern“; „Anlassbezogene Koordination innerstaatlicher Maßnahmen zur Bewältigung überregionaler oder internationaler Krisen oder Katastrophen“.

All das wäre jetzt besonders gefragt. Und Nehammer müsste selbstverständlich eine Vorstellung davon haben, welche Ziele wie erreicht werden sollen. Das müsste noch nicht einmal ins Detail gehen (was aufgrund der Unberechenbarkeit der Entwicklungen sogar müßig wäre). Bemerkenswert ist jedoch, dass Nehammer bisher keine Grundsatzrede zur Bewältigung möglicher Herausforderungen gehalten hat. Er überlässt Österreich einer gewissen Orientierungslosigkeit.

Das ist das eine. Das andere: Wenn er, wie erwähnt, auf die „Wahrung der Einheitlichkeit der Regierungspolitik“ hinwirken sollte, fällt ihm seine Parteisekretärin Laura Sachslehner (ÖVP) genau genommen in den Rücken, wenn sie auf einer Pressekonferenz Energieministerin Leonore Gewessler (Grüne) kritisiert und meint, sie mache in Bezug auf die Gasversorgung keinen guten Job. Genauso, wie ihm Mikl-Leitner einen Bärendienst erweist mit ihrem öffentlichen Ruf nach einem Strompreisdeckel, muss er laut Gesetz doch „auf das einheitliche Zusammenarbeiten zwischen Bund und Ländern“ hinwirken.

Hier kommen persönliche Unzulänglichkeiten eines Kanzlers, Realverfassung und eine zweifelhafte Kompetenzaufteilung zu einer toxischen Mischung zusammen. Mit letzterem gemeint ist zum Beispiel dies: Es entspricht einer rein parteipolitischen Logik, aber keiner sinnvollen Lösung, dass Rohstofffragen (wie eine mögliche Gasförderung in Niederösterreich auf Jahrzehnte hinaus) bisher im Landwirtschaftsministerium angesiedelt war und nun ins Finanzministerium wandert; dass aber Energieversorgungssicherheit bei Leonore Gewessler liegt. Damit schafft man sich im besten Fall nur Koordinierungsbedarf und im schlimmsten Fall zusätzliche Probleme.

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