ANALYSE. Türkise ermöglichen es der Partei, inhaltlich bestimmend zu sein. Ganz egal, wie extrem ihre Forderungen sind, die Hemmschwellen fallen.
Im Grunde genommen ist die FPÖ nicht erst heute, sondern schon seit vielen Jahren bestimmend in diesem Land. Was Jörg Haider einst bei einem „Anti-Ausländer-Volksbegehren“ gefordert hat, ist später auch mit Hilfe der damaligen Großparteien SPÖ und ÖVP umgesetzt worden. Haider war es überhaupt, der sich aus Überzeugung, damit eine relative Mehrheit erlangen zu können, auf zwei Themen konzentrierte: Ausländer im Allgemeinen sowie Geflüchtete im Besondern und die EU.
Heute hat die FPÖ mehr denn je eine Absolute für ihre Positionen. Dass die ÖVP mit Sebastian Kurz sehr große Wahlerfolge erzielte, kann nicht darüber hinwegtäuschen. Er tat dies, indem er freiheitliche Zugänge übernahm und teilweise nur anders formulierte. Zum Beispiel: „Stopp der Zuwanderung ins Sozialsystem“.
Herbert Kickl hat Positionen radikalisiert. Er will europäische Integration zugunsten nationaler Souveränität rückabwickeln und nach ungarischem Vorbild praktisch keine Asylverfahren mehr zulassen. Karl Nehammer, ÖVP, versucht zu folgen. Ergebnis in seinem „Österreich-Plan“: „Refokussierung“ der EU auf „Wirtschaftsthemen“. Zugespitzt formuliert also Rückkehr zu einer Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft. Bei Asyl will er mit „Stopp der Zuwanderung ins Sozialsystem“ ernst machen: Verfahren sollen außerhalb der EU durchgeführt werden, nach Österreich muss seinen Angaben zufolge ohnehin niemand kommen. Wer es trotzdem noch tut, der macht es „freiwillig“, wie er in Interviews erklärt. Er könnte auch die Genfer Flüchtlingskonvention aufkündigen.
Warum zieht die ÖVP, warum zieht Nehammer so weit nach rechts, dass es für Kickl fast schon eng werden könnte? Die Erklärung ist einfach: Es geht um ein und dieselben Wählergruppen. Die ÖVP hat sich da auf etwas verhängnisvolles eingelassen: Spätesten nach dem Rücktritt von Kurz hat sie es verabsäumt, sich zu überlegen, wie sie sich zum Beispiel in der Mitte um neue Wählergruppen bemühen könnte. Heute ist es zu spät dafür.
Die Partei ist wie ein Junkie, der nicht mehr loskommt: Würde Nehammer heute mit einem Programm daherkommen, das Richtung „Große Koalition“ inkl. Grüne oder Neos geht, die ÖVP würde bei den gut 20 Prozent bleiben, die sie derzeit hält. Grund: Sie hat sich in den vergangenen Jahren eine Wählerschaft erarbeitet, die bis zu 37,5 Prozent „groß“ geworden ist, zu einem erheblichen Teil aber eben aus Leuten besteht, die, sofern sie von ihr enttäuscht werden, zur FPÖ wechseln.
Die Sache nimmt kein Ende: Sofern Nehammer nach der Wahl im Amt bleibt, ist es für ihn naheliegend, mit Freiheitlichen zu koalieren. Was heißt naheliegend? Es ist schier alternativlos. Seinen Versprechen kann er nur mit ihnen einigermaßen gerecht werden.
Das heißt auch, dass verstärkt mit einer antieuropäischen sowie migrationsfeindlichen österreichischen Politik zu rechnen ist. Die ÖVP sichert der FPÖ dafür eine klare Mehrheit.
Eine Mehrheit dagegen ist vorerst illusorisch. Schon bisher sind SPÖ, Neos und Grüne weit entfernt von 50 Prozent plus einem Mandat auf parlamentarischer Ebene. Jetzt ist davon auszugehen, dass auch noch ihre Minderheit links der Mitte in sich zerfleddert. Das wird der Fall sein, wenn die Bierpartei und die Kommunisten, vielleicht sogar gestärkt durch einen möglichen Erfolg bei der Salzburger Gemeinderatswahl im März, bei der Nationalratswahl antreten.
Das würde etwa auch den Plan von SPÖ-Chef Andreas Babler durchkreuzen, einen „Graswurzelwahlkampf“ durchzuführen: Gerade die Kommunisten und die Bierpartei (bzw. Dominik Wlazny) zeichnet es aus, dass sie „von unten“ mobilisieren. Aber das ist jetzt eine andere Geschichte.